Forschungsergebnisse VA-PEPR Heimstudie
Die VA-PEPR Heimstudie mit 31 Schweizer Haushalten wurde im Zeitraum vom 5. März bis 28. Mai 2021 durchgeführt. Die Teilnehmenden dokumentierten ihre Erfahrungen und Gedanken zum Umgang mit dem Sprachassistenten mittels einer Tagebuch-App und erhielten über vier Wochen neun Aufgaben, welche zu einer spezifischen Interaktion mit einem Sprachassistenten einlud.
In wöchentlichen Interviews reflektierten die Teilnehmenden ihre Tagebucheinträge mit dem Forschungsteam. Drei und sechs Monate nach Ende der Tagebuchstudie fanden Nachbefragungen statt, um die längerfristigen Veränderungen in der Nutzung von Sprachassistenten zu verstehen.
Gerne stellen wir Ihnen die zentralen Erkenntnisse und Fragen, die im Hinblick auf die Nutzung der Sprachassistenten ermittelt wurden vor. Zudem geben wir Ihnen auf der letzten Seite noch einen Einblick in die momentanen Forschungsaktivitäten, die auf diesen Befunden fussen.
Was sind die Erkenntnisse?
Nachfolgend führen wir unsere Erkenntnisse stichpunktartig für Sie auf, wobei wir für dieses Informationsblatt keine Gewichtung oder Sortierung vorgenommen haben. Vielleicht erkennen Sie ja das eine oder andere Thema?
Herausforderung Nummer eins: Die Einbindung in bestehende Systeme daheim!
Nur wenige NutzerInnen denken beim Kauf eines Sprachassistenten an dessen Integration mit den bereits eingerichteten Systemen daheim. Wer schon smarte Geräte unterschiedlicher Operationssysteme nutzt (z.B. OIS Apple oder Android) merkt oft erst bei der Installation daheim, dass der neue Sprachassistent sich nicht problemlos mit dem bisherigen System verbinden lässt. Dadurch ist dessen Funktionalität oft schon zu Beginn kompromittiert und das Nutzererlebnis beeinträchtigt.
Herausforderung wird zum neuen Hobby
Nicht überraschend: technologisch versierte Teilnehmende sind sich dieser Hürde bewusster und prüfen oftmals bereits beim Kauf, welche Systeme vom Sprachassistenten unterstützt werden. Typischerweise zeigt diese Gruppe von Nutzenden mehr Geduld und ‘Empathie’ mit dem Sprachassistenten. Zusätzlich sind sie motivierte Tüftler, die Freude daran haben, derartige Systemabhängigkeiten z.B. mittels Tipps aus Tech-Foren zu überwinden.
Nutzenden fehlt eine Bedienanleitung
Die Studie hat gezeigt, dass die Nutzung nicht immer auf Anhieb klappt, und dass es an leicht verständlichen Bedienungsanleitungen mangelt. Alle Nutzenden in unserer Studie berichten, dass sie experimentieren und ausprobieren, um gewünschte Aufgaben und Funktionen einzurichten. Bei Fragen kontaktierten unsere Studienteilnehmende zudem Freunde oder Bekannte oder suchten Antworten in einem der Online-Foren. Viele äusserten den Wunsch, Tipps und Empfehlungen zu nützlichen Funktionen oder Befehlen zu erhalten.
Zentrale Bereiche zuhause sind beliebt, um Hörlöcher zu vermeiden
Für die Mehrheit unserer Teilnehmenden war klar, dass der Sprachassistent sie hören können muss. Zu den Kriterien der Standortwahl gehörte, dass der Sprachassistent sie gut hört, wenn sie sich im Haus bzw. der Wohnung bewegen. Viele entschieden sich für einen zentralen Raum oder Bereich innerhalb ihres Zuhauses, um den Sprachassistenten zu nutzen. Beliebt waren Küche, Flur und Wohnzimmer. Stellten gebäudebedingte Gegebenheiten Hörbarrieren dar, sahen einige Teilnehmende die Lösung für so ein ‘Hörloch’ in der Aufstellung eines zusätzlichen Sprachassistenten. Interessant: für einige Teilnehmende war das Schlafzimmer als Standort tabu.
Standort & soziales Umfeld beeinflussen die Nutzung
Wo und bei wem ein Sprachassistent ‘sitzt’ oder ‘steht’ beeinflusst dessen Nutzung. Befand sich der Sprachassistent in einer Wohngemeinschaft mit unterschiedlichen Einstellungen der MitbewohnerInnen zu dieser Technologie, achteten Teilnehmende z.B. darauf, diesen nur zu nutzen, wenn sie allein waren. Stand der Sprachassistent dagegen in der Familienküche, durfte er am Abend auch mal für die Bespassung sämtlicher Anwesenden sorgen.
Menschen nehmen ihre Smartphones nicht als Sprachassistenten wahr
Aus technologischer Sicht sind auch smarte Mobiltelefone mit Sprachassistenz-Funktion wie Siri (Apple) oder Bixby (Samsung) Sprachassistenten. Aber für unsere Teilnehmenden blieb das Mobil ein Mobil, Handy oder Smartphone, Wenn sie sich in den Interviews auf Sprachassistenten bezogen, war damit immer ein statisch im Raum installiertes Gerät von Amazon, Apple, oder Google gemeint. Gleichzeitig berichteten uns Teilnehmende, dass sie nach Fehlversuchen mit dem statischen Sprachassistenten ihr Smartphone bemühten – oft mit mehr Erfolg!
Wie sich dieses differenzierte Verhalten im Alltag gegenüber einer grundsätzlich gleichen Technologie, die uns zudem oft auf Schritt und Tritt begleitet erklären lässt, bleibt eine Herausforderung der Forschung. Fragen zur Privatsphäre und Datensicherheit kommen unseren Teilnehmenden eher in den Sinn, wenn sie über das fest installierte Gerät nachdenken, aber weniger im Zusammenhang mit ihrem mitreisenden und immer verbundenen Mobil.
Mit dem Sprachassistent ziehen andere Sprachen ein
Unsere Studie bestätigt, dass NutzerInnen ihr sprachliches Verhalten anpassen, um ihren Sprachassistenten effektiver nutzen zu können. Damit der Sprachassistent sie versteht, weichen sie von der alltäglichen Sprache ab (meist Schweizerdeutsch), die sie ansonsten zuhause sprechen und wechseln in Sprachen, die sie bis dato nur bei formalen Anlässen und bei der Arbeit außerhalb des Zuhauses gebrauchten (insbesondere Englisch und/oder Hochdeutsch).
Der Sprachassistent verleitet zum Kommandieren
Aus unterschiedlichen Gründen – z.B. um besser gehört oder besser verstanden zu werden – formulieren Nutzende Anfragen gerne als klare, oft laute Befehle. Umstehende, bzw. andere Anwesende empfinden diese oft als ‚neue Tonart‘ die mit dem Sprachassistent in das private Umfeld einzieht. Schwierig wird es, wenn das erste Kommando vom Sprachassistenten missverstanden wird und weitere, immer lautere und frustriertere Kommandos durch die Räume schallen.
Nutzende betreiben aktives Erwartungsmanagement
Die meisten Teilnehmenden reduzierten im Laufe der Studie ihre Erwartungen an die Fähigkeiten ihres Sprachassistenten und beschränkten sich auf das Abfordern von Funktionen und Aufgaben, von denen sie bereits wussten, dass der Sprachassistent sie erfüllen kann.
Die Beschäftigung mit dem Sprachassistent als Hobby
Einige wenige Teilnehmende verbrachten viel Zeit damit, mehr über ihren Sprachassistenten herauszufinden, so dass die Beschäftigung mit dem Gerät zum spielerischen Hobby avancierte. Manche installierten z.B. noch weitere Apps oder investierten Zeit und Geld, z.B. in eine Erweiterung für das Smart Home. Die damit verbundene Herausforderung zur Systemintegration bot Motivation und Erfolgserlebnis.
Die Heimstudie hat gezeigt, dass die Sprachassistent-Technologie neutrale, negative und positive Auswirkungen auf das Zusammenleben haben kann. Durch deren Einsatz können sich neue Rollen im Haushalt entwickeln. Zum Beispiel übernimmt oft eine Person die Verantwortung für die Installation, (Passwort-)Kontrolle und Wartung. Teilnehmende berichten beispielsweise davon, dass eine Person im Haushalt klar die Ansprechperson darstellt, wenn etwas nicht mit dem Sprachassistenten funktioniert.
Auch das Sprechverhalten wird bisweilen angepasst, wenn man bspw. während des gemeinsamen Nachtessens auf einmal beginnt, auf Hochdeutsch zu sprechen. Eltern äußerten sich manchmal besorgt über die Interaktion zwischen dem Sprachassistenten und ihren Kindern. Allerdings gab es auch Eltern, die ihre Kinder zur Nutzung anregten. In manchen Familien hingegen zeigte sich, dass der Sprachassistent zum Teil eine ausschließende Wirkung hatte, weil die in der Studie benutzten Geräte Anfragen von Kindern weniger gut verstanden.
Einige beklagten, dass die Spontanität verloren gehen kann, wenn Teilnehmende sich bewusstwerden, dass der Sprachassistent zuhört. Unter den positiven Auswirkungen auf das Zusammenleben beobachteten wir z.B., wie der Sprachassistent zur Auflockerung der Stimmung ein Quiz beitragen kann.
Grundverständnis für Wertigkeit von Daten vorhanden
Die Vorstellung, dass persönliche Daten, die bei der Nutzung von Sprachassistenten anfallen und bei Amazon & Co gebündelt zusammenlaufen, löst bei vielen unserer Teilnehmenden Unbehagen aus (Stichwort: Gläserne Person). Bei einigen Teilnehmern ist ein erhöhtes Bewusstsein für den Wert der Daten vorhanden. Um bestimmte Dienste zu nutzen oder personalisierte Empfehlungen zu erhalten, wäre ein Teil der Studienteilnehmenden bereit, mehr persönliche Daten mit den Technologieunternehmen zu teilen.
Andere Teilnehmende sind hier vorsichtiger, weil sie befürchten, diesen Unternehmen damit eine ‘Abhörerlaubnis’ zu erteilen.
Wenig verständliche Datenschutzbestimmungen
Die Wenigsten lesen die Datenschutzbestimmungen, die mit dem Gerät kommen, da diese als zu lang und/oder schwer verständlich gesehen werden. Hinzu kommt, dass viele Teilnehmende den Geräten – respektive deren Anbieter bzw. Produzenten – wenig Vertrauen entgegenbringen und das Gefühl haben, dass die Bestimmungen mehr die Firmen als die User schützen.
Unsicherheit, was man aus den Daten lesen kann
Viele befürchten beispielsweise, dass Sprachassistenten anhand der Nutzung feststellen könnten, wann jemand Zuhause ist, ob jemand alleine lebt, welche Vorlieben jemand hat und wie es jemandem gesundheitlich geht.
Unsere Teilnehmenden entwickelten unterschiedliche Beziehungen zu ihren Sprachassistenten. Von denjenigen, die bereits mit Smart-Home-Anwendungen vertraut waren, sahen die meisten vor allem einen nützlichen Helfer, quasi ein wichtiges Verbindungsstück zur bestehenden Technologie. Andere betrachten ihren Sprachassistenten mehr als ein in sich ‘geschlossenes’ technologisches Spielzeug, das auch mal überraschen darf – und das einem neue Bequemlichkeiten ermöglicht, z.B. in dem man eben nicht mehr aufstehen muss, um das Licht auszuschalten, sondern einfach mal in die Hände klatschen kann. Vereinzelt gab es auch Hinweise auf eher freundschaftliche Beziehungen, vor allem von alleinlebenden Menschen, die sich freuten, wenn sie z.B. mit einem “Gute Nacht” Gruß ins Bett geschickt wurden.
Die Studie hat gezeigt, dass der begrenzte Einblick und Überblick über Datenflüsse, Datenschutz, Einstellungsmöglichkeiten, den Nutzende haben, stark verunsichernd wirken kann, wodurch die Integration von Sprachassistenten in den Alltag behindert wird. Deren Auswirkungen auf alltägliche Routinen und Verhaltensweisen hält sich deshalb in Grenzen.
Ferner scheuen sich viele davor, sich vollkommen auf ihre Sprachassistenten zu verlassen, weil die Geräte noch nicht intelligent genug sind. Andererseits sehen manche die Abhängigkeit von Geräten, die auf Strom und Internet angewiesen sind, als großes Risiko. Im Zweifelsfall, so ein Teilnehmer, würde man weder Jalousien hochfahren noch das Licht anstellen können. Die jetzige Energiekrise gibt diesen Aspekt noch mehr Gewicht.
Manche Teilnehmende äußern Bedenken in der Art, dass eine vermehrte Nutzung der Geräte dazu führen kann, dass man sich weniger bewegt und damit ungesünder lebt. Auch gaben einige an, dass die Abgabe bestimmter Aufgaben an den Sprachassistenten dazu führen kann, dass bestimmte Fähigkeiten verlernt werden, z.B. in der Stadt zu navigieren oder soziale Fähigkeiten.
Trotz der häufig geäußerten Bedenken sind dennoch viele Teilnehmende überzeugt, dass Sprachassistenten großes Potenzial haben und in bestimmten Anwendungsbereichen oder für bestimmte Zielgruppen sehr wohl von Nutzen sein können. So könnten Menschen mit motorischen oder visuellen Beeinträchtigungen sehr davon profitieren, wenn sie die Geräte in ihrem Umfeld per Sprachbefehl steuern können.
Sprachassistenten werden von vielen Teilnehmenden als wenig intelligent und als unausgereift empfunden. Vieles, was NutzerInnen anfragen oder erbitten, wird von Sprachassistenten überhaupt nicht verstanden. Viele Teilnehmende bemängeln auch, dass es keine Möglichkeit gibt, nachzuvollziehen, wie die (möglicherweise falschen) Sprachassistent-Rückmeldungen zustande gekommen sein könnten. Hier wäre es wünschenswert, dass Sprachassistenten durch Nachfragen überprüfen, ob jemand mit der Antwort zufrieden war. Insgesamt bleiben die hohen Erwartungen an schlaue (‚smarte‘) Sprachassistenten – getrieben von Werbung und Marketing – unerfüllt. Dies gilt insbesondere in Bezug auf Benutzerfreundlichkeit, Spracherkennung, Installation, Intelligenz und Kompatibilität. Die Erfahrungen unserer Teilnehmenden zeigen, dass die für unsere Studie verfügbaren Sprachassistenten noch nicht in der Lage sind, komplexe Aufgaben zu erfüllen.
Einige Teilnehmende gaben schon nach wenigen Tagen auf, den Sprachassistenten zu nutzen, weil es ihnen zu mühsam war, halbwegs zufriedenstellende Antworten und Aktivitäten zu erhalten. Es war einfacher den Stecker zu ziehen. Teilnehmende, die ihren Sprachassistenten weiterhin nutzten, schätzten vor allem die Timer- und Weck-Funktion, das Musik-Hören sowie das Abfragen von fakten-basiertem Wissen. Einige wenige experimentierten mit Spielen, in denen der Sprachassistent eine Spielerrolle oder Schiedsrichterrolle einnahm.
Wie fließen die Ergebnisse der Heimstudie in das weitere Projekt?
Mittlerweile liegen uns neben der Heimstudie auch Ergebnisse von anderen Teilstudien unseres Projektes vor. Hierzu gehören die RCC Studie und die Netzwerkanalyse. Basierend auf all diesen unterschiedlich generierten Daten und Einblicken entwickelte das Projektteam erste Provotypen die in spekulativen Design Workshops und weiteren In-Home-Studien getestet wurden.
Für das kommende Jahr ist vorgesehen, unsere Ergebnisse in Fokusgruppen in der italienisch und französischsprachigen Schweiz zu evaluieren und zu vergleichen. Falls Sie allenfalls interessierte Personen in diesen Regionen kennen, dürfen sie sich gerne bei uns melden (va-pepr@hslu.ch). Auch sonst bleiben wir gerne im Austausch mit Ihnen.
Unseren gesamten Bericht können Sie sich hier herunterladen.
Ansprechperson
Sabine Junginger, Projektleiterin VA-PEPR
va-pepr@hslu.ch
Quellen
Meissner, J. et al. (2022) VA Use: Challenges of the Home Office Context. Presentation EURAM 2022.
Shorter, M, et al. (2022). Materialising the Immaterial: Provotyping to Explore Voice Assistant Complexities. In Designing Interactive Systems Conference (DIS ’22). Association for Computing Machinery, 1512–1524. https://doi.org/10.1145/3532106.3533519