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Checkpoint Charlie zwischen Erinnerung und Zukunft

Im Frühlingssemester 2023 arbeitete das Master Studio «Architektur & Struktur» mit dem Vertiefungsmodul zusammen. Im Mittelpunkt der Betrachtung stand die Stadt Berlin und die Zeit um den Mauerfall.

Kaum eine europäische Stadt hat sich in ihrer jüngeren Geschichte so radikal gewandelt wie Berlin. Und das gleich mehrfach – die entscheidenden Ereignisse sind die Zerstörung durch die Alliierten am Ende des Zweiten Weltkriegs, die Teilung der Stadt in der Nachkriegszeit und die Zeit um den Fall der Berliner Mauer.

Das Ende der 1980er Jahre war ein Wendepunkt. Aus historischer Sicht führte der Fall der Berliner Mauer letztlich zum Zusammenbruch der Sowjetunion und damit zum Ende des Kalten Krieges. Wir haben mit einem emblematischen Ort gearbeitet, an dem die Mauer einst stand: Checkpoint Charlie. Erstaunlicherweise sind an diesem zentralen Punkt in der Innenstadt mehrere Grundstücke frei geblieben.

Ingnasi de Solà-Morales hat die Faszination leerstehender städtischer Räume beschrieben und für sie den Begriff «terrain vague» geprägt, um die Poesie solcher Räume auszudrücken. Auch in der zeitgenössischen Fotografie ist die Leere ein häufiges Thema, etwa in den Arbeiten von Thomas Ruff, Thomas Struth und Gabriele Basilico. In diesen scheinbar verlassenen Räumen scheint die Erinnerung an die Vergangenheit stärker zu sein als die Gegenwart. Ihre Existenz und Präsenz ist nicht den wirtschaftlichen und funktionalen Regeln der Stadt unterworfen. In Zeiten, in denen Dichte und Verdichtung die Maxime der Stadtentwicklung zu sein scheinen, sind wir davon überzeugt, dass Leerstellen und Verzicht zum städtebaulichen Vokabular gehören, insbesondere in Berlin. Es wird zu viel überbaut, umgebaut und aufgestockt.

Ausgehend von einem kürzlich von der Stadt Berlin durchgeführten partizipativen Dialogprozess und dem daraus resultierenden Bebauungsplan für das Areal wollten sich die Studierenden kritisch mit einem historisch bedeutsamen Ort im Gefüge der Stadt auseinandersetzen. Spuren und Erinnerung spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Suche nach der Identität und Bedeutung der Stadt der Zukunft. Im Hinblick auf den baulichen und wirtschaftlichen Niedergang der Innenstadt um den Potsdamer Platz und die Friedrichstraße kann sich die Stadt der Zukunft kaum auf Erinnerung und Bildung verlassen. Es ist notwendig, Szenarien zu entwickeln, die das urbane Leben an diesen Ort zurückbringen.

Projekt von Elise Snick

Bei diesem Projekt wird der Checkpoint Charlie als Standort für eine neue Zentralbibliothek in Berlin neu konzipiert, wobei die Grenzen zwischen Stadt und Gebäude sowie zwischen Innen und Aussen verschwimmen. Die urbane Leere wird buchstäblich von einer großflächigen, gerüstartigen Struktur eingerahmt, die entlang der freiliegenden Brandmauern errichtet wird. Diese Struktur bildet eine orthogonale Einfassung, die eine strenge euklidische Ordnung über eine ansonsten chaotische Situation legt – ohne diese auszulöschen. Innerhalb dieser Einfassung sind die verschiedenen Elemente, darunter ein Auditorium, Büros und eine Mediathek, in idealen Volumina (Zylinder, Würfel usw.) untergebracht, welche – vielleicht paradoxerweise – ihren Platz in diesem großen öffentlichen Raum mit der scheinbaren Lockerheit und Unordnung des ursprünglichen Zustands des Ortes zu finden scheinen.

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