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Bauteilwiederverwendung im Master Architektur & Energie – Herbstsemester 2022

Das Master-Entwurfsstudio «Architektur & Energie» wurde im Herbstsemester 2022 von Annika Seifert zusammen mit Axel Humpert von der FHNW geleitet, der als akademischer Gast mitwirkte. Das Studio widmete sich dem Thema der Bauteilwiederverwendung, in dem es sich drei gestalterisch und architekturgeschichtlich bedeutsame Pavillonbauten vornahm, die als «fiktive Materiallager» für den eigenen Entwurf eines Student Community House auf dem Campus Horw zur Verfügung standen.

Re-Sourcing Icons as a collage: Centre Le Corbusier meets Bürgenstock Bazaar meets Rahm‘s Saffa Pavillon

Thema und Aufgabenstellung des Semesters

Gebaute Architektur, ob als Ganzes oder in ihre Bauteile zerlegt, stellt eine kostbare Ressource für unsere Architekturpraxis dar. Als Referenz beflügelt sie seit jeher unsere Entwurfsarbeit und dient uns als wichtiger Orientierungspunkt auf der Suche nach Lösungen städtebaulicher und architektonischer Herausforderungen. Vor dem Hintergrund immer knapper werdender Ressourcen und unseres steigenden Bewusstseins für ökologische und energetische Zusammenhänge, gewinnt der architektonische Bestand aber auch als wiederzuverwendendes Baumaterial an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund beschäftigte sich das Studio ein Semester lang intensiv mit dem Thema der Bauteilwiederverwendung und seinen Möglichkeiten und Auswirkungen auf den Entwurfsprozess.

Drei Ausgangsbauten – der Saffa-Pavillon (Berta Rahm), das Centre le Corbusier (Le Corbusier) und der Bürgenstock Bazaar (Auguste Boyer) bildeten die Ausgangslage für die Semesterarbeit. Zu Beginn des Entwurfsprozesses vertieften sich die Studierenden in je eines der drei Objekte und führten eine umfassende Bestandesaufnahme durch. Die für jeden Pavillon vor Ort und im Quellenstudium dokumentierten und vermassten Bauteile wurden in Form eines Bauteilkataloges zusammengetragen.

Diese materielle – und ideelle – Ressource wurde zum wesentlichen Leitfaden für die kreative und konstruktive Entwurfsarbeit während des Semesters. Dekonstruiert, wiederverwendet, neu gefügt und transformiert prägen die zugrundeliegenden Architektur-Ikonen Ausdruck und Konstruktion der neu entworfenen Student Community Houses. Die Ausgangsressource wird so einerseits zum einschränkenden Faktor, andererseits stellt sie eine bestehende architektonische Identität zur Disposition, die die Entwurfsarbeit auflädt.

Prof. Annika Seifert und Prof. Axel Humpert erklären das Semesterthema und die Aufgabe

Bauteilkataloge von drei Pavillons

Mit der Katalogisierung der drei Ausgangsbauten, also mit der Auseinandersetzung mit den konkret verfügbaren Bauteilen und ihrer konstruktiven Logik, begann die Entwurfsarbeit der Studierenden. Die Pavillon-Gruppen diskutierten die Definition des Begriffes «Bauteil – je nach Fügung oder Transportierbarkeit konnte dies eine Schraube oder eine zusammenhängende Betontreppe sein. Sie ordneten jedem Teil neben quantitativen Grössen wie Dimensionen oder Stückzahl auch qualitative Werte zu – etwa «Re-Usability» oder «Architectural Value». Ausserdem wurde der materialspezifische Wert des «Global Warming Potentials» festgehalten – je höher das GWP, desto sinnvoller die Wiederverwendung. Von der Primärstruktur bis zur Verkleidung, von der Dachhaut bis zum Mobiliar wurden die Bauteile schliesslich als CAD-Elemente erfasst, die den Studierenden im weiteren Semesterverlauf zur Verfügung standen.

Kompletter Bauteilkatalog der drei Pavillons

Die folgenden drei Bauten wurden untersucht und dokumentiert:

Saffa-Pavillon (1958)

Die zweite «Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit» (SAFFA) fand 1958 auf der Landiwiese in Zürich statt und zeigte die damalige Stellung und Leistungen der Frauen in der Gesellschaft. Die Architektin Berta Rahm ergänzte ein von Carlo Pagani entworfenes Clubhaus mit einem Anbau. Dieser kleine, detailliert durchdachte Pavillon nahm als Annex in reduziertem Maßstab die Struktur und Formensprache des Hauptgebäudes auf. Der von Rahms Skandinavien-Aufenthalte inspirierte Innenraum zeichnete sich dank der transluzenten Fassade durch seine sanfte Lichtstimmung aus. Innovative Materialien wie vollflächige Scobalit-Fenster aus glasfaserverstärktem Kunststoff und die profilierte Fural-Fassade aus Aluminium verkleideten die Holzrahmenkonstruktion. Nach der Ausstellung wurde der Pavillon 1958 für eine Pilzfarm im Kanton St. Gallen genutzt und durch Rahm selbst um einen Aufenthaltsraum mit Küche erweitert. 2020 rettete der Verein ProSaffa1958 den Kleinbau vor dem Abbruch. Der nun in Einzelteilen gelagerte Pavillon wartet auf eine neue Nutzung.
Vgl. Aufruf zur Spendensammlung durch den Verein ProSaffa1958-Pavillon zur Rettung des Saffa 1958-Pavillon von Berta Rahm. Verein ProSaffa1958-Pavillon. https://www.prosaffa1958-pavillon.ch/berta-rahm
Studierende: Nathan Boder, Anamée Delauche, Herolind Elezi, Anders Gjesdal

Bürgenstock-Bazaar

In den 1950er Jahren ergänzte Hotelier Fritz Frey das über dem Vierwaldstättersee gelegene Bürgenstock Ressort mit einer Erlebniswelt aus Pavillonbauten, die das amerikanische Hollywood-Flair der Zeit heraufbeschworen. Der vom Luzerner Architekten August Boyer entworfene Bürgenstock-Bazaar zählt zu diesen Kleinbauten. Das zweigeschossige exklusive Verkaufslokal, ist dreiseitig von einer massiven Natursteinmauer gefasst und öffnet sich umso eindrucksvoller mit einer attraktiven Schaufensterfront zur Hotel-Piazza. Der Ausdruck der amerikanischen Moderne fügt sich im Zusammenspiel mit örtlichen Materialien harmonisch in die geschichtsträchtige Umgebung ein. 1965 umgebaut, erhielt die Fassade 2017 durch den Wiedereinsatz der Glasbausteinwand ihren ursprünglichen Ausdruck zurück, wobei der Innenausbau von einem Uhrengeschäft gestalterisch überformt wurde.
Vgl. Meret Speisser, ‘Bürgenstock-Bazaar / Gübelin-Bazaar (1955)’ in Der Traum von Amerika: 50er-Jahre-Bauten in den Alpen (Marcel Just / Meret Speisser eds., Nidwaldner Museum 2016).
Studierende: Lindon Bytyqi, Dugald Gardner, Ichrake Jabbouri

Centre Le Corbusier

Die Kunstsammlerin Heidi Weber konnte Le Corbusier  1960 überzeugen für sie einen Pavillon in Zürich zu gestalten. Das Centre Le Corbusier öffnete 1967 und ist der letzte begleitete Entwurf des Architekten. Das Ausstellungsgebäude steht für einen erneuten Wechsel in seinem Wirken und experimentiert mit einer Leichtbautechnologie aus farbig emaillierten Fassadenpaneelen und vollverglasten Elementen. Die mit Jean Prouvé entwickelte rationale Stahlstruktur baut auf dem Modulor-System mit einem Achsmass von 2.26m auf. In Form eines doppelten Schirmes überragt ein freitragendes Stahldach in Form eines doppelten Schirms die zweigeschossigen Museumsräume. Mit der Übernahme und Restauration durch die Stadt Zürich wird der Pavillonbau seit 2019 unter dem Namen Pavillon Le Corbusier vom Museum für Gestaltung Zürich weitergeführt.
Vgl. Juan Calatrava, Maison d’Homme Heidi Weber Museum – Centre Le Corbusier Zurich (Edition Heidi Weber, Zürich 2011), 50-52.
Studierende: Simon Albrecht, Elion Bytyqi, Hanna-Sophie Knipping, Alp-Can Yldiz

Projekt von Nathan Boder – A pavilion to promote the place of women in the technical professions and more…

Der Saffa-Pavillon von Berta Rahm aus dem Jahr 1958 ist durch seine frühere und heutige Geschichte eng mit der Förderung der Stellung der Frau in der Gesellschaft verbunden. Das Projekt setzt diese Idee fort, indem es Teile des Pavillons wiederverwendet um Räumlichkeiten für eine feministische Gruppierung von Studentinnen auf dem Campus zu schaffen. Das Raumprogramms wird durch ein Café und eine kleine Bühne ergänzt, die sich zum Park öffnen.

Die drei Innenräume des ursprünglichen Pavillons werden dazu in ihrer ursprünglichen Form rekonstruiert aber frei in einer neuen räumlichen Abfolge angeordnet. Als Rahmen für diese Anordnung dient eine dreidimensionales Stahl-Grid, das aus Elementen des Centre Le Corbusier gefügt wird. Durch die Neuanordnung der Innenräume des bestehenden Pavillons entstehen neue Außenflächen die mit einer einfachen Holzkonstruktion verkleidet werden. Um den thermischen Anforderungen mit einer ausreichenden Dämmschicht gerecht zu werden, werden die bestehenden Fassadenelemente verdickt; dazu müssen die Ecken konstruktiv exponiert werden, um die Diskrepanz zwischen unveränderten Innenraum-Dimensionen und bestehenden Fassadenverkleidungen zu überbrücken. In gewisser Weise werden die bestehenden Fassaden des Saffa-Pavillons wieder freigelegt – wie zuvor in der Ausstellung «The Power of the Mushrooms» an der ETH Zürich im Jahr 2021.

Das Projekt verwendet die beiden Bauten von Berta Rahm und Le Corbusier als bestehende Systeme weiter. Die Innenräume erinnern dabei formal weiter an ihre frühere Existenz, der modulare Stahlbau gibt seinen expressiven Ausdruck zugunsten der neuen Konstellation auf. Die Stärke des Projektes liegt in den Räumen, die durch die Konvergenz der beiden Systeme entstehen, der Gesamtausdruck bleibt dabei der Temporalität eines Pavillons verpflichtet.

Das Mock-Up von Nathan Boder zeigt ein Konstruktionsdetail mit Wiederverwendung der ikonischen Fural Verkleidung aus dem Saffa-Pavillon.

3D-scan

3D-Scan des Saffa1958-Pavillons vor dem Rückbau im Jahr 2020.
Film editiert und bearbeitet von der Arbeitsgruppe Saffa1958-Pavillon an der HSLU MAA. Studierende: Nathan Boder, Anamée Delauche, Herolind Elezei, Anders Gjesdal
3D-Quelle: © Scan by SCANVISION GmbH
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