Materialität FS22
Das Modul «Materialität» widmet sich der Erfahrung und dem gestalterischen Einsatz von Material. Den sinnlich-atmosphärischen Qualitäten von Baumaterialien gilt unser Interesse ebenso wie ihren technischen Eigenschaften und ihrer handwerklichen oder industriellen Bearbeitung. Wir untersuchen ihre Kulturgeschichte und ihren sozialen und ökologischen Kontext, arbeiten damit an einer «kritischen Rematerialisierung» von Architektur. Baustoffe als wertvolle Ressource zu begreifen und nachhaltig zu gestalten ist unser Anspruch.
In einer Abfolge von drei Aufgaben begeben sich die Studierenden in die direkte Auseinandersetzung mit verschieden Materialien und Baustoffen. Plastische Formgebungsverfahren und Bearbeitungstechniken werden erprobt, reflektiert und zu einer räumlichen Materialstudie entwickelt. Wir sammeln haptisches Wissen, überlassen uns dem Prozess des «Making» und hinterfragen unsere Entwurfspraxis durch die Beschäftigung mit Bildender Kunst.
Workshop 1: modellieren
Über die manuelle Bearbeitung des Tons erfolgt eine unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Material. Zum einen wird direkt mit der Hand gearbeitet, zum anderen werden mit der Wahl eines eigenen Werkzeugs die Wechselwirkungen zwischen Material, Werkzeug und Form verhandelt. Die Techniken des Auf- und Abtragens werden erprobt, Reliefs und dreidimensionale Formen gestaltet.
Workshop 2: abformen und giessen
Aus dem Grundriss des eigenen Zimmers entwickeln die Studierenden Schalungen für einen Guss.
Skizzenhaft und transformativ findet die Annäherung an eine mögliche Endform statt. Als Arbeitsfläche dient eine selbst gebaute Holzkiste, in der die Negativformen mit Ton aufgebaut werden. Unterschiedliche Oberflächenstrukturen und Höhendifferenzen werden von Hand oder mit selbst angefertigten Werkzeugen gestaltet. Für den Guss wird Gips oder Beton verwendet, wobei mit Zuschlagstoffen und Pigmenten experimentiert werden kann.
Materialstudie 3: kombinieren und experimentieren
Zusätzlich zu den Workshops entwickeln die Studierenden im Modul Materialität freie Projekte. Dabei
beziehen sie sich auf interessante Gebäude ihrer Wahl oder verfolgen einen individuellen skulpturalen Ansatz. Sie kombinieren Materialien, erproben Bearbeitungstechniken und Zusammensetzungen. Recherchen und Entwurfsprozesse werden in einem ausführlichen Prozessheft dokumentiert. Die Projekte münden in die Abgabe von gestalterischen Materialstudien, die in einer gemeinsamen Schlusskritik präsentiert und diskutiert werden.
Bess Laaring – Das Haus
Bess Laaring über ihre Arbeit: «Ich wohne seit Februar 2017 in diesem Haus. Ich habe immer die schönen Materialien geschätzt, den kühlen Terrazzo, die verrückten Küchenfliesen und das gefilterte Licht durch das gemusterte Glas im Eingangsbereich. In seinem unrenovierten Zustand habe ich mich sehr wohl gefühlt, sehr verankert in einem Haus, das so viel Alter und Erinnerungen hat. Einige der Böden haben wir sogar selbst renoviert, indem wir die Vinylböden aus den 90er Jahren entfernt haben, um die ursprünglichen Fliesen und den Terrazzo freizulegen. Als ich im Jahr 2020 erfuhr, dass das Haus verkauft und schliesslich abgerissen werden sollte, um Platz für größere Wohngebäude zu schaffen, begann ich darüber nachzudenken, wie ich das Haus mitnehmen könnte. Ich wollte den kühlen Terrazzo noch lange nach dem Abriss des Hauses berühren können. Der Gedanke, dass diese schönen Materialien, die immer noch perfekt zu gebrauchen waren, zerstört werden und verloren gehen würden, war so schade. Die frühere Eigentümerin wollte das Haus auch irgendwie dokumentieren, bevor es verloren ging. Die Idee eines Archivs entstand aus dem Wunsch, die Materialien zu bewahren, die hauptsächlich aus dem Inneren der Wohnung stammen, in der ich lebe, die Oberflächen, denen ich täglich begegne. Ich habe eine Auswahl der wichtigsten Materialien, die mir etwas bedeuten, getroffen und für jedes eine Archivbox angefertigt. Für jedes Material habe ich, wenn möglich, seine Herkunft oder Herstellung recherchiert. (…)»
Weitere Materialstudien
Exkursionen
Im Frühlingssemester 2022 besuchten die Studierenden im Modul «Materialität» das Zementwerk Wildegg und die Kunstgiesserei in St. Gallen. Auf einem Materialspaziergang durch den Horwer Dorfkern diskutierten sie mit den Dozierenden die Fassadengestaltungen, den Einsatz und die Wirkung der dort verbauten Materialien.