Metamorphosis
Kann man die scheinbar permanente Disziplin der Architektur als eine Abfolge von verschiedenen Lebensphasen und Funktionen verstehen? Können wir diese typologischen Transformationen sogar von vornherein antizipieren? Mit dieser Frage beschäftigten sich die Studierenden im Master Fokus «Energie» im Herbstsemester 2023 anhand eines konkreten Beispiels in Chiasso. Das Studio wurde geleitet von Annika Seifert und Luca Deon.
In der Tessiner Grenzgemeinde stellt der Pendlerverkehr durch die italienischen Frontalieri eine Herausforderung für die Planenden dar. Die derzeit für das Ortszentrum geforderten neuen Tiefgaragen sind jedoch ein Bautypus, welcher für die aktuelle Situation noch unverzichtbar erscheint, durch die absehbaren Veränderungen unserer Mobilität jedoch bald obsolet sein wird. Die Studierenden hatten deshalb die Aufgabe, als Alternative ein Bauwerk zu entwickeln, das zunächst als oberirdisches Parkhaus dienen kann, dessen typologische Transformation in eine zweite Nutzungsphase – Wohnen und öffentliches Programmieren – sie aber schon jetzt planen. Auf diese Weise experimentierten sie mit einem simultanen Entwurfsprozess – zwischen Flexibilität und Spezifität, unter Berücksichtigung der sich verändernden städtischen Situation, der Trag- und Raumstruktur und nicht zuletzt des Konstruktions- und Bauprozesses – um die Lebensdauer des Gebäudes neu zu definieren.
Projekt Julian Kersting
Julian Kersting schreibt über sein Projekt: «Kernstück des Entwurfs ist eine kreisförmige Rampe mit einem Durchmesser von 34 Meter, welche die Geschosse der angeschlossenen Baukörper sowohl für den Auto- als auch für den Fußgängerverkehr erschließt und zugleich statisch aussteift. Der enorme Durchmesser ist bewusst gewählt, denn dadurch beträgt die Steigung der Rampe lediglich 3,88 %, wodurch sie kaum wahrnehmbar ist und die Rampe als vertikaler, zusammenhängender öffentlicher Raum wahrgenommen wird.
Die Umsetzung sieht drei Phasen vor, in denen nach und nach Baukörper an die Rampe angeschlossen werden, die zunächst als Parkhäuser mit einzelnen Dienstleistungsfunktionen wie einem Supermarkt, aber auch bereits ersten Freizeitfunktionen wie einem Basketballplatz dienen und später mit Bars, Restaurants, Ateliers, Bibliotheken, Kindertagesstätten und Wohnungen um- bzw. ausgebaut werden.
Ziel ist es, dass sich die Menschen die Rampe in ihrem eigenen und an ihre Bedürfnisse angepassten Tempo aneignen können und sie schließlich vollständig als Wohn-, Arbeits- und Freizeitort funktioniert und das Auto bei der Nutzung der Infrastruktur nur noch eine untergeordnete Rolle spielt oder ganz verschwindet. Theoretisch könnte die Rampe bei Bedarf unendlich erweitert und die angedockten Gebäude weiter aufgestockt werden.
Der südlich der Gleise gelegene Teil von Chiasso ist durch den Bahnverkehr vom Zentrum isoliert. In unmittelbarer Nähe des Grundstücks gibt es keine Fussgänger- und Veloverbindungen über die Gleise – die einzige Querung besteht aus zwei Autotunnels mit einem schmalen Fussgängerbereich. Die Rampe löst dieses Problem mit einer Fußgängerbrücke, die beide Seiten miteinander verbindet.»