Master Thesis Florian Oertli
Florian Oertli ging im Rahmen seiner freien Masterthesis der Frage nach, inwiefern eine Transformation des Bestandes Voraussetzung ist für die Werterhaltung eines Ortes oder eines Gebäudes. In Schwellbrunn, einem Dorf im Appenzeller Hinterland, zeigte er anhand eines architektonischen Projektes ein möglicher neuer Weg auf, wie eine Transformation der geschützten, historischen Bausubstanz zu einer Werterhaltung führen könnte.
Die Grundlage dafür bietete seine theoretische Auseinandersetzung mit dem architektonischen Schaffen in der Kunstgiesserei St. Gallen und der Stiftung Sitterwerk in St. Gallen sowie seine Arbeit an dieser Institution. Aus dieser Auseinandersetzung resultierten Gestaltungsstrategien, die das Gewöhnliche, das Alltägliche, das Arbeiten mit dem Vorhandenen, das Veränderbare und Wiederverwendbare in den Vordergrund rückten. Architektur versteht Florian Oertli als ständig laufender Prozess und nicht als statisch abgeschlossenes Objekt. Das Ende ist immer offen, so die daraus resultierende These.
Der Bestand wird transformiert mithilfe des vorgängig erarbeiteten Vokabulars und eines Arbeitsmodells.
Das Modell ist eine ständige Baustelle, an der laufend neue Möglichkeiten ausprobiert werden können.
Die Transformierbarkeit ist ein Wert, der dem Appenzellerhaus mit seiner Konstruktionsart innewohnt und neue Interpretationen zulässt. Die vorliegende Auseinandersetzung stärkt ein Verständnis von Architektur, die sich ständig weiterentwickelt und verändern lässt, und zeigt die dafür erforderlichen Voraussetzungen auf. Abschliessend wirft die Arbeit Fragen über die «Kunst des Bewahrens» und der Autorenschaft in den Raum – gilt es, ein Bild zu schützen oder eine Idee oder einen Wert, der dem Objekt innewohnt und gibt es eine originale Autorenschaft?
Projekt
Wer nicht gerade ein Haus bauen oder kaufen will, hat in der ländlichen Gegend oft wenig Möglichkeiten geeigneten Wohnraum zu finden. Die gängige Kammerstruktur ist eingeengt und lässt oft nur traditionelle Wohnkonzepte, die introvertiert und nach innen gerichtet sind, zu. Das Haus ist ein Versuch diese Vorstellungen aufzubrechen. Innerhalb der konstruktiven Logik des Veränderns wird das Haus transformiert in ein lebendiges Konstrukt, das über sechs Geschosse ständig neue Beziehungen ermöglicht.
Das Haus kann auch eine Verbindung herstellen zur früheren Formen der Gemeinschaft, die in der Kirchgemeinde ihren Ort gefunden haben. Die Kirche wird kaum noch besucht, ihre Räume haben aber nach wie vor Bestand. In diesem Sinne kann das Haus Platz bieten für eine zeitgemässe Vorstellung von Gemeinschaft. Es gibt Räume, die von einer grösseren Gemeinschaft ausserhalb des Hauses genutzt werden können. Es gibt Gemeinschaftsräume, in denen sich die Bewohnerschaft des Hauses trifft, wie ein grosse Küche, Ess- Wohn- oder Aufenthaltsräume. Dazu bietet das Haus die Möglichkeit, sich in unterschiedlichen Konstellationen in privaten Räumen zurückzuziehen.
All diese Räume sind in der Höhe verbunden durch das Treppenhaus, welches als Teil des Wohnraums verstanden wird. Die klaren Grenzen der Kammerstruktur werden teilweise aufgebrochen. Räume werden in der Horizontalen und in der Vertikalen verbunden. Das Projekt zeigt auf, dass der Strickbau diese Veränderungen zulässt. Es entstehen Sichtbezüge durch benachbarte Räume, niedrige Räume werden verbunden mit zwei- oder dreigeschossigen Räumen und erhalten durch diesen Kontrast eine neue Qualität.
Das Einfügen einer neuen Geschossschicht bietet die Möglichkeit im Erdgeschoss einen zweigeschossigen Saal zu erhalten. Durch das Aufbrechen der Fassade bekommt der Raum eine neue Öffentlichkeit zur Strasse hin. Die Geschehnisse im Innern sind auf der Strasse erkennbar. Die Rückseite im neuen Saal wird ebenfalls geöffnet. Die Rückseite mit der Abendsonne bietet eine Qualität, die in diesem Projekt genutzt wird.
Der Ausdruck zur Strasse bleibt klar strukturiert durch das Zusammenfassen von Elementen. Wie in der traditionellen Gestaltung dienen die Elemente gleichzeitig dem Schutz der Holzstruktur und bieten die Möglichkeit den Sonnenschutz zu integrieren. Die Elemente sind eine Neunterpretation der traditionellen Klebedächer und des Täfers. So werden Täfer und Klebedach in einem Element zusammengefasst, was zu einem zeitgemässen, klaren Ausdruck führt. Wie die meisten Gebäude vor Ort besitzt die Fassade Richtung Nordwesten vereinzelte Auswüchse, die einem inneren Bedürfnis entspringen. Dieser Dualismus ist etwas Typisches für das Dorf und bietet im Zusammenhang mit der Entwicklung der «Rückseite» grosses Potenzial.
Auf der Ebene der Konstruktion wird über dem massiven Erdgeschoss ein neues Geschoss eingefügt. Konstruiert wird es aus Vollholzelementen, die aus einzelnen Brettern zusammengedübelt werden. Diese massive Bauweise entspricht der Logik des Veränderns und lässt sich wieder in seine Einzelteile zerlegen. Den bestehenden Geschossen in der Strickbauweise werden in der Höhe Schichten eingeschoben. Dieser Eingriff führt zu befriedigenden Raumhöhen. Die neu eingeschobenen Balken können gleichzeitig auskragen und bieten die Möglichkeit das Gebäude auf die Rückseite weiterzuentwickeln. So bietet die Auskragung im zweiten Geschoss Platz für eine Küche. Gleichzeitig werden darüber die Deckenbretter ausgezogen. Dieses subtraktive Arbeiten ergibt einen Raum, der sich über zwei Geschosshöhen ausdehnt.
Bestehende Türen oder Fenster bleiben möglichst bestehen. So kann eine Tür in unerreichbarer Höhe auf den ersten Blick irritieren und gleichzeitig an etwas erinnern das einmal dagewesen ist.
Über einzelne Öffnungen werden Räume wie das Treppenhaus oder ein Zimmer mit der zweigeschossigen Küche verbunden. Durch diese Beziehungen und Sichtbezüge entsteht eine Lebendigkeit innerhalb des Hauses.
Die drei Zimmer im dritten Obergeschoss zur Strasse können mit Schiebetüren als ein Raum genutzt werden. Das Szenario zeigt zwei Schlafzimmer und ein Raum, der zum Arbeiten im Homeoffice dienen könnte.
Das bestehende Dach wird «aufgeklappt». Die bestehenden Sparren werden mit einer neuen Dachneigung abgestützt und ausgefacht. In das neue Dach werden neue, grosszügige Räume eingeschoben, die im spannungsvollen Kontrast stehen zu der bestehenden Kammerstruktur.
Das Projekt kann als eine Darstellung verstanden werden, das die Architektur als Prozess versteht. Der Transformation liegt eine radikale Wahrnehmung des Vorhandenen zu Grunde. Über das Erfahren mit der eigenen Hand und ein Verständnis über die Entwicklungsgeschichte der konstruktiven Gegebenheiten, sowie der Betrachtung vorhandener Strukturen ist ein bestehendes Objekt auf unterschiedlichen Ebenen weiterentwickelt, neu interpretiert und ergänzt worden. Die Transformationsmöglichkeiten werden dem Haus weiterhin innewohnen und bieten die Möglichkeit für kommende Veränderungen und Neuinterpretationen.