CCTP Position – Open Architecture

Gebäude und Städte als Lebensraum

Eine nachhaltige Stadtentwicklung orientiert sich an Qualitäten für die Nutzenden, ist langfristig ausgerichtet und verfügt über das notwendige Potenzial, um gestärkt auf Veränderungen reagieren zu können. Eine Fokussierung auf quantitative Indikatoren wie Effizienz und technische Optimierung wird dem Charakter einer Stadt nicht gerecht und schwächt ihre Fähigkeit zur Resilienz. Als offenes und lernfähiges System muss sich ein Siedlungsraum permanent weiterentwickeln können und benötigt Experimentalraum. Dabei sind dynamische, vielfältige und entwicklungsoffene Strategien gefragt. Dies steht im Widerspruch zu den starren Korsetts von Reglementierungen oder einer verordneten Technologie.

Architektur steht im Spannungsfeld zwischen dem Konkreten/Spezifischen und dem Anpassbaren/Dynamischen, zwischen individuellen und kollektiven Interessen. Dies führt häufig dazu, dass Architektur auf ihre Objekthaftigkeit reduziert wird. Demgegenüber beschreibt Open Architecture eine Position, welche das Gebäude systemisch als Lebensraum betrachtet. Mit John Habraken ist das CCTP der Meinung, dass unsere Bauten «als materielle Form zum Leben erweckt werden» müssen (John Habraken, 1961). Das Gebaute besteht nicht nur aus konstruktiven und technischen Komponenten, sondern umfasst Lebensräume mit komplexen räumlichen, sozialen und ökonomischen Wechselwirkungen. Die systemische Betrachtung beinhaltet ein «Umweltverständnis, das von interagierenden Systemen mit dynamischen Bezügen zur alltäglichen Wirklichkeit ausgeht» (Jesko Fezer, 1980). Die Mensch-Umwelt-Interaktionen können auf den Ebenen der Planung, der Umsetzung, der Nutzung und der Erneuerung spezifisch entwickelt werden. Ziel von Open Architecture ist es, eine möglichst hohe Qualität an Mensch-Umwelt-Interaktionen zu erreichen.
–> Gebäude systemisch als Lebensraum betrachtet

Open Architecture zu konzipieren ist Teil der Mensch-Umwelt-Interaktion und erfordert Aushandlungsprozesse. Die verschiedenen individuellen Interessen und kollektiven Verantwortlichkeiten befinden sich häufig im Wettbewerb und in vermeintlicher Konkurrenz. Es muss gelingen, die Anspruchsgruppen und Entscheidungsträger dieser Interessen in einem frühen Stadium der Planung an einen Tisch zu bringen, mit dem Anspruch, Zielkonflikte in Zielvereinbarungen zu überführen. Diese bilden die Basis für eine langfristige iterative Planung. 
–> Prozess

Open Architecture kann daher nicht ohne Beteiligung der Betroffenen entstehen. In einem Disziplinen-übergreifenden Prozess müssen wir bei der Planung von Räumen, Gebäuden und Quartieren die relevanten Entwicklungen, die unsere Gebäude künftig beeinflussen werden, identifizieren und Szenarien möglicher Entwicklungen formulieren. Die Szenarien dienen als Grundlage für weitere Entscheidungen. Dieses Vorgehen nimmt das «Unbekannte als Basis» (John Habraken 2000/1961, S. 31) und sucht «nach Handlungsansätzen im Umgang mit der Ungewissheit» (Jesko Fezer 1980, S. 16). 
–> Partizipation

Open Architecture ist eine Reaktion auf die Bedürfnisse und Anforderungen heutiger und künftiger Nutzenden. Sie hat flexibel Funktionen zu erfüllen, die selbst einem ständigen Wandel unterliegen. Darum hat Open Architecture eine anpassbare Struktur. Diese ist jedoch spezifisch gestaltet und nicht beliebig. Sie besitzt einen hohen Aufforderungscharakter zur Aneignung, die für die angestrebte hohe Mensch-Umwelt-Interaktion Grundvoraussetzung ist. Open Architecture fordert zum Handeln auf und schafft «Möglichkeitsräume» zum Bespielen des Alltags.
–> Anpassungs- und Lernfähigkeit, Resilienz

Open Architecture stellt die Wirkung des Gebauten auf den Menschen ins Zentrum. Das Gebaute ist zwar in seiner physischen Beschaffenheit objektiv. In der Art und Weise, wie es erlebt wird und Verhalten prägt, dagegen subjektiv. Diese Unschärfe im Entwurfsprozess zu berücksichtigen, d. h. etwas Konkretes zu bauen, das subjektiv wahrgenommen und angeeignet werden kann, stellt für Architekturschaffende eine Herausforderung dar und beinhaltet ein grosse Chance.
–> Wirkung

Open Architecture ist nur bedingt planbar – im Sinne von John Habrakens «You can’t control». Alles Gebaute unterliegt einem permanenten Anpassungsdruck. Dieser wird von Veränderungen in unterschiedlichsten Bereichen, wie Ökonomie, Gesellschaft, Ökologie etc. ausgeübt und kann durch architektonisches Handeln nicht unmittelbar beeinflusst werden. Lösungen, die heute propagiert werden, müssen deshalb auch im Blickwinkel ihres Verfallsdatums betrachtet werden. Open Architecture muss in der Lage sein, auf Veränderungen mit unterschiedlichen Strategien zu reagieren. 
–> Veränderbarkeit, Verfallsdatum

Open Architecture schafft qualitative Werte für künftige Nutzerinnen und Nutzer. Ein anpassbares Gebäude ist ein spezifisches Produkt mit hoher Qualität, das Veränderungen zulässt. Betrachten wir Werterhaltung und Rentabilität als Indikatoren für eine nachhaltige Wirkung über einen längeren Zeitraum sowie für verschiedene Nutzungen des Gebäudes, dann ist an Stelle der Effizienz die Effektivität der angemessene Massstab für die Beurteilung der Wertschöpfung. Dies bedeutet, nach der richtigen Wirkung zu suchen und nicht eine vermeintlich richtige Lösung unreflektiert zu optimieren. 
–> Nachhaltigkeit, Effizienz, Effektivität

Open Architecture ermöglicht es, Synergien zwischen Individuum und Gemeinschaft und zwischen Bauwerk und Quartier zu nutzen und schafft dadurch Mehrwert. Durch die Kooperation in einem übergeordneten System können einzelne Gebäude von spezifischen Stärken der anderen profitieren. Ziel ist nicht das autonome Gebäude, das alles leisten kann, sondern die Aktivierung von Synergien zwischen verschiedenen Gebäuden und Nutzungen. Lebendige Quartiere bemessen sich an der Dichte und Qualität gemeinschaftlicher Interaktionen, die ein lebendiges Wohn- und Arbeitsumfeld unterstützen. Was zählt, ist die Gesamtbilanz auf Quartiers- oder Stadtebene.
–> Synergien, lebendige Quartiere, Suffizienz, Kooperation

Fazit

Architektur kann ihre Wirkung erst entfalten, wenn sie zuvor aktiviert wurde. Bei diesem Prozess spielen zwei Informationsebenen eine zentrale Rolle: Die erste Informationsebene ist das Gebäude als statisches Objekt («Hardware», z. B. Materialität, Raumkonzeption etc.) selbst. Sie beinhaltet das baulich-räumliche Potenzial. Eine zweite übergeordnete Informationsebene übernimmt die Funktion einer «Software» (immaterielle Aspekte, Aneignungsprozesse etc.). Erst ihre Programme aktivieren das baulich-räumliche Potenzial des Objekts und zeichnen sich für die Mensch-Umwelt-Interaktionen verantwortlich. Dieser Prozess transformiert das Objekt in einen höherwertigen Zustand als Lebensraum. 

Gelingt es, das Zusammenspiel dieser Informationsebenen bei  der Planung von Architektur bewusst zu berücksichtigen, können fragile (objektbezogene) Zustände in antifragile Zustände (Mensch-Umwelt-Interaktionen) transformiert werden. Denn die angestrebten hohen Mensch-Umwelt-Interaktionen setzen eine spezifische Betrachtung von Nutzung, Gebäude und Kontext voraus und berücksichtigen dadurch bereits als Entwurfsprinzip das «Unbekannte als Basis» (Habraken 2000/1961, S. 31). Aus diesem Grund muss Architektur als Open Architecture veränderungsfähig sein. Sobald das Gebäude isoliert als Objekt («material») betrachtet wird, ohne dabei ihre Mensch-Umwelt-Interaktion («immaterial») zu berücksichtigen, führt dies zu einer Reduktion von komplexen Zusammenhängen, mangelhaften Einschätzungen der architektonischen Wirkung und erhöht die Gefahr von Fragilität. Erst durch die Interaktionen ist die «Aktivierung der natürlichen Relation» (Habraken 2000/1961, S. 29) möglich. Diese ist Basis für einen Entwicklung nachhaltiger Architektur. 

Wir benötigen Räume, Gebäude und Quartiere, die als Open Architecture auf sich verändernde Anforderungen reagieren  können und die trotz Wandel Garant für einen qualitätsvollen, hochstehenden Lebensraum sind. Unsere Räume, Gebäude und Quartiere müssen zum Handeln und damit zur Verantwortung auffordern. Bei diesem Prozess sind alle Architekturschaffenden gefordert: Es geht um den Einbezug verschiedener Akteure und Disziplinen und den niederschwelligen Zugang zur Architektur  für Laien als Experten des Alltags.

Literatur

  • Fezer, Jesko (1980): Politik – Umwelt – Mensch. In: Burckhardt, Lucius: Wer plant die Planung? Architektur, Politik und Mensch.
    Kassel: Martin Schmitz Verlag: Berlin
  • Habraken, N. John (2000): Die Träger und die Menschen: Das Ende des Massenwohnungsbaus.
    Den Haag: Arch-Edition/ursprüngliche Ausgabe 1961
  • Habraken, N. John (2008): Eine offene Architektur ist keine neutrale Architektur.

Positionspapier «Open Architecture»

Das Positionspapier «Open Architecture» fasst die Haltung des CCTP zu Architektur im Spannungsfeld zwischen individuellen und kollektiven Interessen zusammen. Download «Open Architecture» (PDF).

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