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Nachhilfe in Nachhaltigkeit?

Konsum, Wachstum und Nachhaltigkeit. Katrin Muff im Interview über wie diese drei Themenfelder miteinander im Konflikt stehen.

Katrin Muff hat mich und meine Kollegin Matya in ihr Büro eingeladen, um über Nachhaltigkeit zu sprechen. Die ehemalige Rektorin der Business School Lausanne hat mit ihrem Partner Thomas Dyllick das Institute for Business Sustainability gegründet, wo sie zusammen zum Thema Nachhaltigkeit forschen, weiterbilden und beraten.

Als ich das Thema Nachhaltigkeit anschneide wird mir bewusst, wie dieser Begriff oftmals vorschnell gebraucht wird. Jeder möchte sich heute möglichst nachhaltig und grün positionieren. Habt ihr euch aber schonmal überlegt, was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet?

Katrin erklärt mir Nachhaltigkeit als Teil eines Modells der starken und schwachen Nachhaltigkeit. In einer starken Nachhaltigkeit ist die Umwelt die essenzielle Basis, in der sich unsere Gesellschaft befindet. Und als Teil der Gesellschaft agiert die Wirtschaft. Diese soll sich in diesem Umfeld so verhalten, dass die ökonomischen Gewinne, weder der Gesellschaft und Umwelt, noch zukünftigen Generationen schaden soll. Eine schwache Nachhaltigkeit wäre, wenn ökonomische Gewinne auf Kosten der Umwelt oder der Gesellschaft erzeugt werden.

Natürlich kann keine Nachhaltigkeitsdebatte geführt werden, ohne über die Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen zu sprechen. Die Mitgliedstaaten haben sich 17 Ziele bis 2030 gesetzt, um global nachhaltige Strukturen zu schaffen. Laut Katrin ist vor allem das grosse Vermarktungspotenzial der SDG’s ein grosser Vorteil zur kontinuellen Bekanntmachung dieser Ziele. Da kann ich ihr nur zustimmen. Ich habe mir selbst vor drei Jahren ein Merchandise Artikel der SDG Reihe gekauft und trage dieses «Togetherband» konsequent am rechten Handgelenk.

Die SDG sind sicher ein wichtiges gesellschaftliches und politisches Richtwerk. Abschliessend darf man gegenüber den Messindikatoren der SDG aber durchaus kritisch sein. Oder versteht ihr warum die Anzahl Strassenverkehrsunfälle als Messindikator für Gesundheit und Wohlergehen gelten?

Nachhaltigkeit sei aktuell besonders relevant für Unternehmen, erzählt Katrin. Analysten, Rating Agenturen und andere Anspruchsgruppen erwarten nämlich zunehmend mehr Bemühungen von Firmen in diesem Bereich. Leider sei dies nicht immer sehr authentisch, da gewisse Branchen per se nicht nachhaltig sein können. Dies ist zum Beispiel bei der Zementindustrie zu beobachten, die mit ihrer Zementproduktion allein schon für 4 bis 8% der weltweiten Treibhausemissionen verantwortlich ist[1].

Auch die Netto-Null Thematik sieht sie kritisch. Grundsätzlich bewertet sie diese ganze Bewegung als einen Schritt in die richtige Richtung. Nichtsdestotrotz müsse man sich bewusstwerden, dass Netto-Null nur bedeuten würde, ab einem gewissen Zeitpunkt keinen Schaden mehr anzurichten. Dies ist deutlich zu wenig, um der Klimakrise effektiv entgegenzuwirken. Sie macht mich auf das Zürcher Startup Climeworks aufmerksam, welches im Vergleich zur Netto-Null Strategie aktiv CO2 aus der Luft filtert. Es ist spannend zu sehen, wie eine Schweizer Jungunternehmen dank innovativer Technologien den Kampf gegen den Klimawandeln aufnimmt und es wird mir klar, dass wir zukünftig viel mehr von solchen Firmen brauchen werden.

Nebst den technologischen Entwicklungen spielen auch Dienstleistungen eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel. Katrin erwartet, dass Dienstleitungen im Zusammenhang mit der Kreislaufwirtschaft zukünftig immer relevanter werden und so gewisse Produkte ersetzen können. Küchengeräte sollen nicht mehr gekauft, sondern direkt vom Hersteller gemietet werden. Die Gerätehersteller würden sich um die Wartung und Pflege kümmern, was zu einer geringeren Konsumation und längeren Nutzungsdauer der Geräte führen würde, da so gezieltere und kleinere Reparaturen durchgeführt werden könnten.
Natürlich stellt sich hier aber die Frage, ob Unternehmen überhaupt eine geringere Konsumation wollen. Würde dies nicht zwingend den Ertrag der Unternehmen mindern?

Auf diese Frage führt mich Katrin in die Theorie von Degrowth ein. Degrowth bedeutet weniger zu konsumieren und zu produzieren, um so ein nachhaltigeres und sozialeres BIP zu kreieren. Die Thematik hängt sehr stark von uns Konsumenten und unserer Gesellschaft ab, die sich in den letzten Jahrzenten an den masslosen Konsum gewöhnt haben. Solange wir immer mehr wollen, wird es immer Unternehmen geben, die von unserer Nachfrage profitieren. Da frage ich mich natürlich: Wann hören wir mit unserem Wachstumsfokus auf? Wann ist genug, genug? Welche Anreize ermöglichen unserer Konsumgesellschaft ein Umdenken?

Für Katrin ist klar, dass Anreize besser funktionieren als Bestrafungen. Haushalte, Firmen und Regierungen müssen zwingend verstehen, dass sie nicht mehr an veralteten Traditionen und Geschäftsmodellen festhalten können. Der Staat muss seine Verantwortung wahrnehmen und Lenkungsmassnahmen einführen, welches Unternehmen und CEOs motiviert nachhaltiger zu wirtschaften. Dies sei besonders wichtig, da nicht alle Firmen denselben Druck spüren, sich intensiver mit dem Konzept der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzten.

An dieser Stelle hoffe ich, dass wir alle als Gesellschaft unsere Verantwortung wahrnehmen, und bedanke mich für das inspirierende Gespräch. Ich hoffe, dass das Jahr 2021 mit allen Herausforderungen entgegen Katrins Befürchtungen ein Ausnahmejahr bleibt und freue mich auf unser Wiedersehen im Jahr 2030, um zu sehen, wo unsere Welt dann stehen wird.


[1] https://www.vdz-online.de/zementindustrie/klimaschutz