Weltweit werden pro Minute fast eine Million Getränkeflaschen aus Kunststoff verkauft. Tendenz steigend. Julie Harboe im Interview über Auswüchse einer unbewussten Konsumkultur und einer möglichen Kunststoffökonomie von morgen.
Feedbacks von Bürgern zeigen, dass viele Ideen und konkretes Engagement vorhanden sind, um eine nachhaltige Entwicklung im Umgang mit Plastik einzuläuten. Das EU Horizon 2020 Forschungsprojekt «PlasticTwist» schafft eine Blockchain-basierte Plattform für eine neue In-Wertsetzung von Kunststoff. Und mittendrin: Julie Harboe, unabhängige Forscherin und Mitglied des CreaLabs.
Wie gehen wir in Zukunft verantwortungsvoll mit Plastik um? Mit dieser Frage beschäftigst du dich schon seit einigen Jahren. Wie hat dich das in deinem persönlichen Alltag geprägt?
Das fängt beim Einkauf an. Ich achte mich darauf, möglichst wenig Plastik einzukaufen. Aber vor allem prägt es mich mit einem gewissen Gefühl von Ohnmacht. Ich weiss, dass Lösungen wie Cradle-to-Cradle bereit stehen würden, doch bei vielen Akteuren ist nur eine sehr zurückhaltende Handlungsbereitschaft zu beobachten. Zum Beispiel hat die EU jüngst ein Verbot von Einweggeschirr aus Kunststoff durchgesetzt, doch einen richtigen Umbruch erreicht man damit meiner Meinung nicht.
Worin siehst du die grossen Probleme beim Plastik?
Wir Menschen sind uns zu wenig bewusst, wie eng wir mit der Konsumgesellschaft verflechtet sind und wie viel Plastik durch ihr Verhalten produziert wird. Natürlich will ich die Errungenschaften von Kunststoff nicht kleinreden. Gerade in Spitalbetrieben hat es uns ein Hygieneniveau ermöglicht, welches im wortwörtlichen Sinn Leben rettet. Doch in vielen anderen Bereichen glauben wir ein uneingeschränktes Recht auf den Verbrauch von Plastik zu haben. Gerade bei Verpackungen für Nahrungsmittel zeigt sich das: Nicht nur wird das meiste in ‘single-use plastic’ verpackt, es ermöglicht auch mehr Konsum. So wächst und beschleunigt sich eine Spirale wo zu viel gekauft wird und Verpackung zur Umweltverschmutzung führt.
Das Forschungsprojekt «PlasticTwist» verbindet die Aspekte Nachhaltigkeit und digitale Transformation. Um was geht es dabei eigentlich? Was wollt ihr erreichen?
In der traditionellen Ökonomie kann Plastik sehr günstig produziert werden. Für die anfallenden Schäden in der Umwelt ist man jedoch nicht gezwungen, Geld zu bezahlen. Deshalb müssen in dieser Ökonomie die Probleme der Externalitäten gelöst werden. Und hier setzt unser Forschungsprojekt «PlasticTwist» an. Mit diesem Projekt versuchen wir, eine Plattform herzustellen womit man das Material neu als eine Ressource der Kreislaufwirtschaft sieht und damit eine neue reale Ökonomie aufbaut.
Mit der Blockchain-Technologie steigt ihr auf einen vielversprechenden Zug auf. Wo siehst du die Vorteile dieser Technologie?
Mit der Blockchain-Technologie kann eine Ökonomie hergestellt werden, in welcher die digitale Informationen mit der physischen Wirklichkeit verbunden ist. Die Akteure können auf der Plattform den Plastik in ein neues Bewertungssystem eintragen und die Informationen zum Material können weder verändert noch gelöscht werden. Dadurch entsteht der wesentliche Vorteil von Transparenz und Sicherheit.
Die Initiative will bewusst auch die Bürgerinnen und Bürger an Bord holen. Mit welchen Mitteln schafft ihr das?
Für richtig grosse Anlässe fehlen uns die finanziellen Mittel. Doch wir konnten einige Brückenanlässe durchführen, wo wir unsere Ideen präsentieren konnten. So wurden beispielsweise sogenannte «Plastic-Talks» im Luzerner Neubad gehalten. Der Austausch mit dem Publikum war sehr spannendend und hilfreich. Das Publikum war sehr gemischt und die Interesse was zu verändern sehr gross. Des Weiteren haben wir an Ausbildungsmessen wie dem Umwelttag in Luzern teilgenommen. Wir konnten auch unterschiedliche Workshops mit Lehrerinnen und Lehrern erarbeiten und führten einen Wettbewerb zum Thema Plastik-Recycling durch.
Ab Sommer 2021 verbietet die gesamte EU Einwegplastik-Artikel. Die Schweiz hingegen setzt auf Eigenverantwortung. Welche Rolle sollte die Politik deiner Meinung nach einnehmen?
Bei diesem dringlichen Problem ist es für mich völlig klar, und das war auch deutlich ein Wunsch der Bürgerinnen und Bürgern, dass die Politik aktiv eingreifen muss. Wir müssen alle viel mehr über das Material lernen. Die Recycling-Prozesse müssen so gut funktionieren, dass schlussendlich jeder Haushalt auch nur mit einem kleinen 5-Liter Abfallsack funktioniert. Bei dem Verbot von Einwegplastik-Artikel zweifle ich, ob es genug Effekt hat. Alle Nachhaltigkeit braucht Planungsbewusstsein und -wille. Wir können nicht schnell genug anfangen Schritte im Alltag durchzudenken, um Material zu sparen und beim Abfall zu reduzieren. Aber auch um sinnvoller zu kochen und weniger Energie zu verwenden. Dafür müssen das Material und die Produktions- und Lieferprozesse angepasst werden. Eine zukunftssichere Konsumkultur heisst «Weniger und Besser».
Interessante Beiträge zum Thema Plastik, Nachhaltigkeit und Plastik
Wie können wir die Plastikökonomie neu definieren? CreaLab-Mitglieder über das Projekt «Plastic Twist». (Seite 26-29)
Auswege aus der Plastikmüll-Misere. Die Weltspiegel-Reportage über verantwortungsvolles Handeln in Ghana.
Plastik überall – Geschichte vom Müll. Eindrückliche Dokumentation (Arte) über das Wunderwerk und Teufelszeug Plastik.
Verpackungswende jetzt! Die WWF-Studie über wie eine Kreislaufwirtschaft für Kunststoffverpackungen funktionieren kann.