Stresstest Digitalisierung. Wie können Schulen sich den Weg zur digitalen Transformation bahnen? Shiva Stucki-Sabeti über Chancen, Stolpersteine und ihre eigene digitale Affinität.
Du bist Forscherin an der Hochschule Luzern. War das schon immer dein Traumberuf?
Bildung ans sich hat mich schon immer interessiert, aber Lehrerin wollte ich nicht werden. Das Schöne für die Bildung tätig zu sein ist, dass ich mich mit etwas Sinnvollem und Essentiellem beschäftigen kann. Man verhilft dem Menschen zur Mündigkeit, zum eigenen Denken. Und diese Werte sind mir wichtig.
In eurem Forschungsprojekt DigiKanti geht’s um die digitale Transformation. Würdest du dich selber als «digitalisierte» Person beschreiben?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin da ein ganz schlechtes Vorbild. Bei der Arbeit und zum Denken brauch ich einen Stift und Papier. Aber ich mache Fortschritte. Ich bin stolz darauf, seit einem Jahr meine Agenda auf meinem Handy und nicht mehr in Papierform zu haben. Und neustens haben wir unsere Einkaufsliste auf einer App.Es ist ein interessantes Spannungsfeld für mich. Ich bin nicht richtig «digitalisiert», finde mich aber mit neuen Programmen schnell zurecht und kann Probleme mit dem PC sehr gut selber lösen.
Das Forschungsprojekt DigiKanti befindet sich gerade in der «Feldphase». Um was geht es eigentlich?
Für das Forschungsprojekt haben wir uns bewusst auf die Gymnasien im Kanton Luzern fokussiert. Uns interessiert, wie Lehrpersonen auf organisationaler Ebene unterstützt werden können, um digitale Technologien möglichst gewinnbringend und nachhaltig für ihre Aufgabenbereiche einzusetzen. Also welche Massnahmen kann zum Beispiel eine Schulleitung treffen, um die Lehrpersonen auf ihrem «Digitalisierungsweg» angemessen zu begleiten. Dabei steht nicht die didaktische und pädagogische Ebene im Vordergrund, sondern die organisationsinternen Prozesse, Strukturen und Führungsfragen.
Auf der Grundlage des Ist-Zustands im Kanton Luzern wollen wir dann Handlungsempfehlungen und Best Practices für die Weiterentwicklung abgeben. Wir haben dazu drei Leuchtturmprojekte analysiert. Darunter fallen Gymnasien und Berufsschulen aus der Schweiz und Deutschland, welche im Bereich Digitalisierung besonders innovativ und fortschrittlich unterwegs sind.
Kam DigiKanti durch einen Hilferuf der Rektoren zustande?
Nein. Ich glaube, es ist noch nicht jeder Schule bewusst, wie relevant das Thema ist. Ich kann mir vorstellen, dass viele Schulen nur begrenzt Eigeninitiative in diesem Bereich übernehmen. Wir sind aber überzeugt davon, dass die digitale Transformation umfassende Veränderungen mit sich bringen wird. Diese Transformation ist weitreichender zu verstehen als nur die Umstellung auf einen Zoom-Unterricht. Unser Ziel ist es, die Schulen zu ermuntern, diesen Wandel aktiv mitzugestalten.
Ein Forschungsprojekt über Schule und Digitalisierung hat wahrscheinlich viele Facetten. Wie setzt sich euer Forschungsteam zusammen?
Ich finde es sehr bereichernd, das in unserem Projekt unterschiedliches Denken zusammen kommt. Wir haben Leute von den Departementen Technik & Architektur, von der Sozialen Arbeit, und natürlich vom Wirtschaftsdepartement dabei, welches den Lead hat. Zudem arbeitet jemand von der PH Luzern im Projektteam mit, der den pädagogisch-didaktischen Bereich abdeckt. Das Projekt ist mit dem ICT (Interdisziplinäres Themencluster der Hochschule Luzern) zustande gekommen. Und dort gilt die Bedingung, dass das Team interdisziplinär aufgestellt ist. Und gerade beim Thema Digitalisierung braucht es unbedingt eine solche interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Die Digitalisierung gilt als Transformationsprozess und verändert schulisches Lehren und Lernen und damit die Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern tiefgreifend. Sind die Lehrpersonen darauf vorbereitet und wie sieht es mit ihrem Wissen und Knowhow deiner Meinung nach aus?
Da gibt es meiner Meinung nach eine grosse Spannbreite. Es gibt motivierte Leute, die sind in diesem Bereich topfit aufgrund ihrer Eigeninitiative. Andere, wahrscheinlich auch gut begründet, können weniger mit digitalen Technologien anfangen. Ich finde das auch verständlich. Ich glaube, die Digitalisierung von oben nach unten zu erzwingen wäre der falsche Weg. Was ich wichtig fände ist, den Lehrpersonen im Rahmen ihres Pensums genügend freie Zeitgefässe zur Verfügung zu stellen, welche sie für die digitale Transformation im Unterricht verwenden können. Denn viele Lehrpersonen sind bereits so stark ausgelastet, dass es zu viel ist, dieses zusätzliche Themenfeld zu bearbeiten. Man muss ihnen gewisse Freiräume während ihres Pensums bieten, damit sie sich weiterentwickeln können.
Ich glaube auch, dass die Lehrpersonen schon in ihrer Ausbildung anders vorbereitet werden müssen. Die digitale Transformation müsste einen höheren Stellenwert bekommen. Man hat damit angefangen, aber dieser Prozess braucht einfach eine gewisse Zeit.
Ich stelle mir gerade eine Lehrperson 5 Jahre vor ihrer Pensionierung vor. Kann man sich da noch genug motivieren, diesen Wandel mitzumachen?
Mein Gefühl sagt, dass das Alter dabei gar keine wesentliche Rolle spielt. Vielmehr ist es eine Typenfrage. Grundsätzlich gibt es vielleicht schon eine gewisse Art von Übersättigung, da es bereits sehr viele Reformprojekte an den Schulen gibt und diese mit einem unglaublichen Tempo vorangetrieben werden. Auch die digitale Entwicklung gehört dazu. Eine Neueinführung eines Programmes kann heutzutage nach einem Jahr schon wieder als veraltet gelten. Damit angemessen umzugehen ist schon anspruchsvoll.
Wie kann die digitale Transformation an den Schulen gelingen?
Die Initiative muss von «unten» kommen. Von motivierten Lehrpersonen, die sich sagen: «Ja, das probieren wir jetzt mal aus!». Die momentan relativ starren Strukturen an den Schulen können dabei hinderlich sein. Vielleicht müsste man probehalber die fixen Klassen, Lehrpläne und Notensysteme ein bisschen aufweichen, um das Potential der digitalen Transformation umfassend nutzen zu können.
Wie könnte der Schulalltag in 10 Jahren aussehen?
Es geht in die Richtung individualisiertes Lernen. Also, dass die Schüler*innen dort abgeholt werden, wo sie mit ihrem Wissensstand stehen. Vielleicht können die Schüler*innen dann wählen, wann sie welche Lerninhalte in Angriff nehmen können und wollen. Und somit übernehmen sie viel Eigenverantwortung für ihr eigenes Lernen, was sicherlich erstrebenswert sein könnte. Und gerade die digitale Transformation, die erhöhte Flexibilität bietet, könnte eine solche Entwicklung begünstigen. Was ich aber wichtig finde ist, dass die digitale Transformation an den Schulen nicht bedeutet, dass Kinder und Jugendliche täglich 8 Stunden vor dem PC sitzen.
Gleichzeitig muss ich meine Phantasie auch ein bisschen bremsen. Inwiefern individualisiertes Lernen an öffentlichen Schulen überhaupt organisierbar ist, muss sich in der Praxis zuerst mal beweisen.
Mit der letzten Frage will ich deine Sicht als Absolventin eines Philosophiestudiums ansprechen. Digitalisierung wird heutzutage in fast allen Bereichen als Must-have angesehen und durchdringt unseren Alltag Schritt für Schritt. Tablets werden schon in der Primarstufe eingesetzt. Sträubt sich da irgendetwas in dir?
Nein, so etwas wie einen Kulturpessimismus verspüre ich nicht. Das ist nicht meine Art. Letztlich sind diese Dinge wie sie sind. Die digitale Entwicklung lässt sich nicht einfach stoppen. Und alles hat Chancen und Risiken. Ständige Ablenkung, ein erhöhtes Suchtpotenzial oder zum Beispiel gewaltbezogene Inhalte lassen sich nicht schönreden. Einen gesunden Umgang mit den digitalen Technologien zu finden und die damit verbundenen Risiken möglichst in den Griff zu bekommen, das ist unsere Aufgabe.
Weiterführende Informationen zum Thema digitale Transformation und Bildung:
Digitale Souveränität und Bildung. Welche speziellen Anforderungen an die digitale Bildung stellen die einzelnen Bildungsphasen? Ein Gutachten über Chancen, Risiken und zentrale Handlungsempfehlungen vom Aktionsrats Bildung (Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft).
Langfristige Veränderungen in Sichtweite? Birgit Eickelmann (Universität Paderborn, Institut für Erziehungswissenschaft) über empirische Befunde und die notwendige Schwerpunktsetzung für die Schul- und Unterrichtsentwicklung.
Digitalisierungsstrategie der EDK. Wie soll die digitale Transformation im Schweizer Bildungsbereich umgesetzt werden? Massnahmen und Strategieziele auf einen Blick.