Highlight Modul ETHIK Persönliche Reflexion: Umnutzung als Herausforderung und Chance von Nora Maria Meyer
Die Umnutzung von Bestandsbauten, z.B. die Transformation von einem leerstehenden Bürogebäude zu Wohnungen, ist angesichts knapper werdender Ressourcen und der Klimaproblematik eine wichtige und sinnvolle Aufgabe in unserem Beruf. Doch ist es zu verantworten in einem Bestandsgebäude, eine neue Nutzung vorzusehen, die sehr hohe Eingriffe erfordert (u.a. umfangreiche Abbrucharbeiten, Ertüchtigungen der Tragstruktur, Eingriffe zwecks Anpassung an Normen und u.a.m.), welche wiederum negative Auswirkungen auf die Umwelt haben? Müsste ein solcher Auftrag nicht abgelehnt bzw. eine alternative Nutzung, die weniger invasiv ist, der Bauherrschaft vorgeschlagen werden?

(Weber, 2022)
Der Bausektor trägt mit seinem hohen Verbrauch von Rohstoffen und der Anhäufung von Abfällen massgeblich zur Zerstörung unseres Ökosystems bei. Bau- und Abbruchabfälle machen 65% der in der Schweiz anfallenden Abfälle aus. Der Bausektor ist für einen Viertel des Co2 Ausstosses in der Schweiz verantwortlich (Küpfer C. & Fivet, C. 202, S. 4-11).
Bestehende Gebäude abzureissen und durch einen, meist wirtschaftlich rentableren, Neubau zu ersetzen, ist immer noch die vorherrschende Strategie der Baubranche und meist auch der Politik. Insbesondere leerstehende Gebäude (z.B. Büro-, Hotel- oder Gewerbebauten) deren Nutzung nicht mehr gefragt ist, werden abgerissen. Für sie gilt es eine angemessene neue Nutzung zu finden. Obwohl alte Gebäude eine schlechte CO2 Bilanz aufweisen, da sie ungenügend isoliert sind und mit Gas oder Öl beheizt werden, sind Gebäudesanierungen meist ökologisch sinnvoller, als der Abbruch. Denn in bestehenden Gebäuden ist ein hoher Anteil an grauer Energie, in Form von Strom, Gas und Öl gespeichert, der mit dem Abbruch verloren geht. Aus diesem Grund gilt es bei der Entscheidung, ob ein Gebäude abgerissen oder saniert werden soll, nicht nur die CO2 Bilanz im Betrieb, die bei Neubauten oft besser ist, zu berücksichtigen, sondern auch der CO2-Ausstoss der bei Bau, Umbau und Abbruch anfällt (Forster, 2022).
Umnutzungen und Sanierungen von Bestandsgebäuden spielen eine immer wichtigere Rolle, um die Umweltzerstörung zu bremsen. Zudem sind sie eine komplexe und herausfordernde Bauaufgabe, die mich persönlich besonders interessiert. Damit eine Umnutzung auch tatsächlich ökologischer als der Abriss ist, gilt es sich kritisch zu fragen, ob die baulichen Eingriffe für die Umnutzung, dem Bestand angemessen sind bzw. der Aufwand und der Nutzen im Gleichgewicht stehen. Hier eine klare Grenze zu ziehen ist schwierig, denn es gibt harte Fakten, wie die Co2 Bilanz oder die Wirtschaftlichkeit und weiche Fakten wie Komfortansprüche und die passende Nutzung.
Soll z.B ein ehemaliger, grosser Gemeindehaussaal im Zentrum von Olten, der von einer im Quartier beliebten Tanztruppe zwischengenutzt wird, zu einem zweigeteilten Raum für eine gemeinnützige Institution umgenutzt werden? Der grosse, überhohe Raum ist von hoher Qualität: zentrale Lage, raumhohe Fenster, schöne Proportionen, alter Parkettboden. Der Raum diente der Gemeinde-versammlung sowie verschiedenen Gemeindeanlässen (Filmvorführungen etc.). Das Gebäude muss nun saniert werden und die neue Bauherrschaft will den Saal den Wünschen der neuen Nutzerschaft anpassen: Der Raum muss geteilt werden, damit er gleichzeitig mit verschiedenen Nutzungen bespielt werden kann, bei Bedarf jedoch auch ganzheitlich genutzt werden kann. Zudem braucht es eine hochmoderne technische Ausstattung. Die Folgen sind umfangreiche Eingriffe inkl. Abbrüche in die Tragstruktur der Decke zur Aufnahme von Technik und schweren Akustikvorhängen, der Einbau eines raumhaltigen Möbels, das die räumlichen Proportionen verunklärt sowie weitere tiefgreifende Eingriffe in die Bausubstanz. Wäre die bestehenden Zwischennutzung der Tanztruppe in eine Langzeitnutzung überführt worden, wären nur minimale Sanierungsarbeiten nötig gewesen. Ist dieser Eingriff dem Bestand angemessen? Soll ich diesen Auftrag ausführen, obwohl er meinen beruflichen Werten widerspricht?
Als zukünftige Architektin habe ich eine Verantwortung gegenüber der Bauherrschaft, der Gesellschaft und der Natur. In diesem Spannungsfeld muss ich wie eine Mediatorin zwischen den sich wiedersprechenden Interessen der Bauherrschaft, Nutzerschaft, Gesellschaft und Natur vermitteln (Düchs, 2013, S. 422). Mit meiner Tätigkeit möchte ich einen Beitrag zu einer hohen Baukultur leisten und die Umwelt möglichst nicht belasten. Muss ich die Verantwortung gegenüber der Bauherrschaft, als Auftrags- und Geldgeberin, über die Verantwortung der Gesellschaft und der Natur stellen? Was sind meine Handlungsmöglichkeiten, wenn ich mit den Wünschen der Bauherrschaft nicht einverstanden bin? Ich möchte einem Gebäude keine unangemessene Nutzung aufzwingen, die sich ökologisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich und auch räumlich, negativ auswirkt. Bei Umnutzungen sind die Räume schon vorhanden und die gewünschte Nutzung der Bauherrschaft muss darin untergebracht werden. Daher sollte die gewünschte Nutzung kritisch mit dem Bestand abgeglichen werden. Denn um umfangreiche Eingriffe zu verhindern, sollte bei Bestandsbauten sich die Nutzung dem Bestand anpassen und nicht der Bestand der Nutzung. Dabei gilt es gewohnte und normierte Ansprüche von Komfort sowie bestehende Vorstellungen von Funktionen kritisch zu hinterfragen, denn Bestandsbauten bieten Chancen für neuen Lebensformen und ungewohnte Raumerfahrungen. Dies muss ich der Bauherrschaft aufzeigen und die Angemessenheit des Eingriffs stets kritisch prüfen. All dies setzt eine sorgfältige Analyse des Bestandes voraus.
Die architektonische Praxis spielt sich in einem komplexen Umfeld ab und hat weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft und Umwelt. Sich dieser hohen Verantwortung bewusst zu sein und eine eigene Haltung zu der gesellschaftlichen und ökologischen Entwicklung einzunehmen, sehe ich als unsere zentrale Aufgabe. Denn Architektur ist keine reine Dienstleitung, bei der es darum geht, überspitzt formuliert, schöne Häuser für die Bauherrschaft zu erstellen. Sondern es geht darum sich zu fragen, für wen und wie wir bauen und mit welchen Konsequenzen: Ist der Neubau ein reines Renditeobjekt? Ist die Sanierung auf Werterhalt bzw. Unterhalt oder Wertsteigerung ausgelegt? Passt die neue Nutzung zum Bestand und sind die Eingriffe angemessen? Architekt:innen können und sollen die Bauherrschaft nicht übersteuern, darum muss zu Beginn der Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft und weiteren Projektbeteiligten ein gemeinsames Verständnis von Baukultur ausgehandelt werden, als Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit.
Quellenverzeichnis
Düchs, M. „Edel sei der Architekt, hilfreich und gut – Zum Berufsethos des Architekten.“ In: Der Architekt: Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes, Hrsg. von Winfried Nerdinger, S. 419-427. München: Prestel, 2013. Ausst.-kat.
Forster, C. (2022, 6. April). Die Baubranche setzt auf Abriss – doch das kostet viel Energie, und für das Klima gibt es bessere Lösungen. In: NZZ S. 45.
Küpfer C., Fivet, C. (2021), Selektiver Rückbau – Rückbaubare Konstruktion: Studie zur Förderung der Abfallreduktion und der Wiederverwendung in der Baubranche.
DOI: 10.5281/zenodo.5131243 (160 Seiten)
Weber, K (2022, 8. Juli). Die heutigen Rahmenbedingungen begünstigen den Neubau. Baublatt Nr. 14