ETHIK HS 22
Im Modul «Ethik» diskutierten die Studierenden über das Handeln von Architekt*innen sowie die ethischen Fragestellungen und Konflikte, die sich im Zusammenhang damit ergeben. Ziel war es, die Auswirkungen des eigenen Tuns besser abschätzen und reflektieren zu lernen.
Ethische Raumpraxis: Notations von Mohtashamian Daniyal, 2022
Von der Auftragsvergabe bis zur Ausführung begegnen Architekturschaffende in ihrem Praxisalltag zahlreichen ethischen Herausforderungen. In Anbetracht der planetarischen Krise und des erheblichen Beitrags, den der Bausektor zum globalen Energieverbrauch und CO2-Ausstoss leistet, werden diese zudem nicht kleiner. Schon die grundlegende Frage nach Erhalt oder Abriss berührt ethische Aspekte, ist doch das eigene Honorar an die Bausumme gekoppelt. Ebenso haben hierzulande intensiv diskutierte Themen wie das Wohnen und die Raumplanung eine ethische Dimension. Knapper und teurer Wohnraum sowie der hohe Bodenverbrauch steigern den Ruf nach Verdichtung. Doch wem nützt diese unter den gegebenen Voraussetzungen—Investor*innen und der Immobilienwirtschaft oder der Bevölkerung, die sich zunehmend Verdrängungsdynamiken ausgesetzt sieht? Weitere ethische Dilemmas stellen sich im Zusammenhang mit den im Sektor herrschenden Arbeits- und Produktionsbedingungen, insbesondere im Zuge der voranschreitenden Globalisierung und Digitalisierung der Bautätigkeit. Hier geht es beispielsweise um verbindliche Standards fairer Arbeit und die Wahrung der Rechte von Arbeitsmigrant*innen auf Grossbaustellen. Zu guter Letzt birgt die Realisierung von Bauten eine Reihe ethischer Fragen—vom Abbau über die Verarbeitung und den Transport, bis hin zum Einbau (und zunehmend auch die Wiederverwendung) von Baustoffen. Mögen sich Architekt*innen in all diesen Bereichen noch so sehr für Schadensminimierung aussprechen, müssen sie doch häufig anerkennen, dass ihr Handeln trotz guter Intentionen bisweilen auch negative Konsequenzen hat.
Die Komplexität dieser Ausgangslage ist aber kein Grund zu resignieren; sie gibt weder Anlass zu Fatalismus («ich kann ohnehin nichts ändern») noch zum Rückzug auf disziplinäre Autonomie («mich interessiert nur die Architektur an sich»). Gleichwohl gilt es, sowohl blindem Fortschrittsglauben («technische und gesellschaftliche Entwicklungen lösen all unsere Probleme») als auch einem heroischen Optimismus («gute Gestaltung verändert die Welt») angesichts begrenzter Handlungsspielräume kritisch gegenüberzutreten.
Über ein Semester haben sich die Studierenden im Modul daher einem situierten und eigenständigen Verständnis der Ethik von Architekt*innen angenähert. Im Austausch untereinander haben sie gelernt, die Konsequenzen ihres Handelns einzuschätzen und zu reflektieren. Als Orientierungsrahmen diente ihnen zum einen die Inputreihe, die ethische Fragestellungen der Gegenwart—zum Umgang mit einer komplexen Welt, zur Ethik des Sorgetragens oder zu ethischen Herausforderungen digitaler Planungswerkzeuge—in einen breiteren historischen Kontext stellte. Zum anderen wurden verschiedene ethische Prinzipien in Lektüreseminaren zur Diskussion gestellt. Einen Resonanzraum zu dieser theoretischen Auseinandersetzung boten die Übungen zur ethischen Raumpraxis. Sie dienten der Schärfung der körperbasierten Wahrnehmung, dem Erfahren sozialer Interaktions- und Aushandlungsprozesse sowie der Selbstbeobachtung und Reflexion des individuellen Handelns. Denn Ethik erschöpft sich nicht im abstrakten Verständnis ethischer Prinzipien, sondern entsteht im gelebten Umgang miteinander in konkreten Situationen. Insofern liegt das Gewicht weniger im Aufbau einer eigenen «Haltung», als dem Ausloten von Strategien eines «sich-zu-den-Dingen-Verhaltens».
Filippo Brunelleschi und Lorenzo Ghiberti übergeben Cosimo dem Älteren de Medici ein Modell für San Lorenzo
Kultur- und Architekturgeschichte
Die Inputs der Kultur- und Architekturgeschichte hatten einen professionsgeschichtlichen Fokus. Im Mittelpunkt standen die soziale Stellung, Fremd- und Eigenwahrnehmung sowie das berufliche Selbstverständnis von Architekt*innen in ihrem historischen Wandel. Wir gingen der Frage nach, wie sich technische und soziale Veränderungen über mehrere Jahrhunderte auf die Arbeitsweise und den Praxisalltag auswirkten—auf fachspezifische Wissens- und Werkzeugkulturen und die Herausbildung eines Berufsethos—und welche Wendepunkte sich dabei abzeichnen. Ergänzend zu den Vorlesungen im Plenum wurden ausgewählte Texte zeitgenössischer Architekturschaffender und Theoretiker*innen in kleinen Gruppen gelesen und diskutiert. Diese Texte dienten der Vertiefung der angesprochenen ethischen Fragestellungen und Prinzipien. Themen wie Verantwortung, Autonomie und Abhängigkeit, Nachhaltigkeit und Integrität, Arbeitsbedingungen oder auch ethische Dilemmas standen dabei im Zentrum.
Ethische Raumpraxis «Instructions»
Handlungsanweisungen (engl. Instructions) sind im Alltag omnipräsent. Sie sind Voraussetzung für das Funktionieren des modernen Lebens und gehören zur alltäglichen Erfahrung eines jeden Individuums. Handlungsanweisungen gehören aber auch zum Repertoire von Architekt*innen. Diese weisen Handwerker*innen in Form von Bauplänen an, die anzeigen, wie etwas konstruiert werden soll. Zudem sind Handlungsanweisungen auch Teil von bestimmten künstlerischen Methoden und Entwicklungen seit den frühen 1960er Jahren. Die Multi-Media-Künstlerin Yoko Ono beispielsweise war mit ihren Instructions und Event Scores eine Pionierin der Konzeptkunst. Die Studierenden setzten sich mit diesen künstlerischen Methoden auseinander und entwickelten in Gruppen- und Einzelarbeiten Handlungsanweisungen. Im Fokus der «Ethischen Raumpraxis» standen Eigen- und Fremdbeobachtung.