Effektivere Unternehmenssteuerung dank Predictive Analytics
Das Potenzial datenbasierter Prognosemodelle
Bei nahezu allen Unternehmen zählen die Planung und Budgetierung zu den jährlich wiederkehrenden Tätigkeiten. Damit zielen die Unternehmen darauf ab, sich optimal auf die internen und externen Entwicklungen einzustellen. Dennoch erfüllt der Planungsprozess in vielen Unternehmen die heutigen Anforderungen nicht mehr. Die Planung dauert oft zu lange, ist zu aufwendig und entfaltet nur eine begrenzte Steuerungswirkung. Demgegenüber ist das gegenwärtige Unternehmensumfeld stark durch die dynamische Entwicklung und den technologischen Fortschritt geprägt. Eine weitere Herausforderung stellt das rasant steigende Datenvolumen dar. Dazu kommen neue Methoden und innovative Tools zur Analyse von Daten auf den Markt. Viele Unternehmen stehen also vor einem massiven Veränderungsprozess. Neben diversen Risiken bringt dieser technologische Fortschritt aber auch ein grosses Optimierungspotenzial für Unternehmen.
Der Einsatz von datenbasierten Prognosemodellen bietet ein grosses Potenzial, die Planungs- und Budgetierungsprozesse langfristig fundamental zu verändern.
Im Zusammenhang mit grossen Datenmengen und Planungsprozessen wird oft der Begriff Predictive Analytics genannt. Mittels dieser Methode machen Unternehmen basierend auf Datenmodellen Vorhersagen, wie sich die Zukunft entwickeln könnte. Im Rahmen der Planung und Budgetierung bietet Predictive Analytics den Unternehmen damit eine Möglichkeit, auf die obenstehenden Herausforderungen der Planungs- und Budgetierungsprozesse zu reagieren. Dank Predictive Analytics Modellen können die Verantwortlichen die Planungsprozesse grossmehrheitlich automatisieren und damit ihre wertvollen Ressourcen schonen. Der verkürzte Prozess bringt zudem die Möglichkeit, die Vorhersage «auf Knopfdruck» zu aktualisieren und so das dynamische Unternehmensumfeld in die Planung miteinzubeziehen. Nicht zuletzt aufgrund dieser Möglichkeit sind die datenbasierten Prognosen oftmals akkurater als die Vorhersagen der traditionellen Planungsmethoden. Doch was gibt es bei der Anwendung solcher Predictive Analytics Modellen zu beachten? Inwiefern hat dieses innovative Verfahren das Potenzial, die Planungs- und Budgetierungsprozesse in den Unternehmen effizienter und effektiver zu machen? Auf diese und weitere interessante Fragen wird die folgende Reportage eingehen.
Warum ist die Budgetierung so kostspielig?
Miriam Hirs arbeitet als Senior Manager im Bereich Finance Transformation bei Deloitte und kennt die Herausforderungen der Planungs- und Budgetierungsprozesse gut. Sie meint, dass der Prozess der Budgetierung von der Planung bis zur Genehmigung vier bis sechs Monate dauert. Der Budgetierungsprozess startet bei vielen Unternehmen im Juni und endet im November mit der Kommunikation des definitiven Budgets für das kommende Jahr. Ein grosser Treiber für den hohen Planungsaufwand sind die mehrheitlich manuellen Prozessschritte.
“Der stärkste Treiber des Zeit- und Ressourcenaufwands der herkömmlichen Budgetierung ist der steigende Detaillierungsgrad.”
Miriam Hirs, Manager bei Deloitte
Mit einem detaillierteren Budget steigt nicht nur der Planungsaufwand, sondern auch der Aufwand der Berichterstattung und der Abweichungsanalyse. Planungsabweichungen zu analysieren gehört zum Berufsalltag eines Controllers. Die Zukunft ist kaum vorhersehbar und Menschen entscheiden selten rational im ökonomischen Sinne (Interview, 2. Mai 2019). Ebenso werden die Lebenszyklen von Absatzmärkten und Produkten immer kürzer. Zumeist passen die Unternehmen die Budgets aber nur während der jährlichen Planungsprozesse an und berücksichtigen daher unterjährige Veränderungen nicht (Schwering, 2016, S. 22).
Effizientere und effektivere Planungsprozesse dank Predictive Analytics
Das explosionsartig steigende Datenvolumen und die technologischen Fortschritte eröffnen den Unternehmen die Chance, die ressourcenintensiven Controlling-Tätigkeiten, insbesondere im Bereich Planung und Budgetierung, zu automatisieren. Mit Hilfe von Predictive Analytics können die Unternehmen die Planungsprozesse einfacher, effizienter und effektiver gestalten. So bietet Predictive Analytics die Möglichkeit, Wirkungszusammenhänge aufzuzeigen. Der Nutzen von Predictive Analytics liegt in den optimierten Vorhersagen sowie im Denken von Szenarien. Dabei können die Unternehmen ihre operative Planung und Ziele besser mit der strategischen Planung abstimmen. Durch das Einsetzen von Predictive Analytics berücksichtigen die Unternehmen die strategischen Zielvorgaben, historische Erfahrungswerte sowie externe Einflussfaktoren beim Erstellen der Budgets und Forecasts (Caviezel, 2018, S. 15–16).
Ulrich Egle vom Institut für Finanzdienstleistungen der Hochschule Luzern hält fest, dass die Automatisierung der ressourcenintensiven Tätigkeiten die Aufwände der Planungs- und Prognoseprozessen reduziert. Ebenso führt das Automatisieren zu einer Verkürzung der Budgeterstellungsperioden. Dies wiederum erhöht die Güte der Budgets und der Forecasts, da die Prognoseperioden zeitlich enger mit den Planungserstellungsperioden zusammenfallen (Interview, 26. April 2019). Durch die verkürzten Intervalle können die Prognosen regelmässig auf die gegenwärtige Geschäftsentwicklung angepasst werden. Letztlich führt dies zu einer dynamischen Planung. Dies erlaubt es dem Management, schnell auf Veränderungen im Unternehmensumfeld reagieren zu können (Burow, Gerards, & Demmer, 2017, S. 54–55).
Elemente des Ökosystems um Predictive Analytics
Hirs führt aus, dass das Controlling und insbesondere die Prozesse der Planung, Budgetierung und des Forecastings zu jenen Bereichen eines Unternehmens zählen, für die das Thema Big Data besonders relevant sind. Nach Hirs ist das Controlling ein Teil des gesamten Ökosystems und fokussiert sich in seiner Tätigkeit auf das Aufbereiten der management-relevanten Informationen. Die Informationen generieren die Unternehmen aus unternehmensinternen Daten. Für die Budgetierung und Forecasts relevante interne Daten sind beispielsweise Lohnkosten, Stückzahlen, Maschinen- und Umsatzdaten (Interview, 2. Mai 2019).
Barbara Lantz von Johnson and Johnson meint, dass Unternehmen immer häufiger externe Daten hinzuziehen. Wichtige externe Daten stammen beispielsweise aus den Sozialen Medien, aus makroökonomischen Prognosen, von Börsenplattformen und von Wettbewerbsunternehmen (Interview, 30. April 2019). Indem Unternehmen externe Daten einbeziehen, erhöhen sie die Prognosegenauigkeit der Unternehmenssteuerung (Gentsch & Kulpa, 2016, S. 36-37).
“Erst die Verbindung von unternehmensinternen mit unternehmensexternen Daten ergibt ein ganzheitliches Unternehmensbild.”
Barbara Lantz, Finance Director FP&A bei Johnson & Johnson
Egle fügt an, dass neben den Datenströmen die verschiedenen Anspruchsgruppen wichtige Elemente des Ökosystems sind. Für die Forecasts und die Budgetierung sind die Einheiten aus den Bereichen Management, Controlling, Data Science und IT die Hauptanspruchsgruppen. Weiter werden externe Anspruchsgruppen wie beispielsweise Software- und Datenlieferanten immer wichtiger. Bei der Entwicklung der Prognosemodelle für die Budgetierung und Forecasts beziehen Unternehmen oft Beratungsunternehmen in den Prozess mit ein (Interview, 26. April 2019).
Wie entwickelt man ein Predictive Analytics Modell?
Für eine zielführende Entwicklung von Predictive Analytics Modellen empfiehlt es sich, das klassische Data Mining Modell “CRISP-DM” anzuwenden. Basierend auf diesem Verfahren erarbeiten Organisationen in einem kontinuierlichen, iterativen Prozess ein Prognosemodell. Die Abbildung 1 visualisiert diesen Prozess anhand des CRISP-DM-Modells.
Das Vorgehen bei der Modellentwicklung für die Budgetierung umfasst folgende sechs Schritte:
- Business Understanding:
Im ersten Schritt schärft das Projektteam das Zielbild. Dabei definiert es, wie die Prozesse für Forecasts im gesamtunternehmerischen Kontext mittels Predictive Analytics verbessert werden können. - Data Understanding:
Die explorativen und deskriptiven Analysen der verfügbaren Daten zielen darauf ab, das Datenverständnis zur Lösungsfindung zu verbessern. - Data Preparation:
Die verfügbaren Daten werden aufbereitet und bereinigt. Dieser unerlässliche Vorgang dient dazu, eine solide und verlässliche Basis für die Predictive Analytics Modelle sicherzustellen. - Modeling:
Anschliessend werden mit den bereinigten Daten die Predictive Analytics Modelle entwickelt. Das gewählte Datenmodell soll eine möglichst präzise Prognose ermöglichen. - Evaluation:
In der Evaluierungsphase beurteilt das Projektteam die Modellgüte. Es prüft einerseits das entwickelte Modell mittels Test- und Trainingsdaten. Andererseits werden die Ergebnisse des konzipierten Modells für die Forecasts mit den Planwerten basierend auf dem herkömmlichen Verfahren verglichen. Dieser Vergleich ist eminent, um Transparenz und Akzeptanz für die neuen Verfahren zu schaffen. - Deployment:
Nachdem die Modellgüte sichergestellt ist, können Unternehmen das Predictive Analytics Modell für die Forecasts einsetzen. Die kontinuierliche Überwachung der in Betrieb genommenen Prozesse und vor allem des Modells sind zentral (Burow et al., 2017, S. 50–51).
Lantz rät Unternehmen davon ab, die herkömmlichen Planungs- und Budgetierungsprozesse von einem Tag auf den anderen durch die auf Predictive Analytics basierte Unternehmenssteuerung abzulösen. Ein fundamentales Element bei der Implementierung solch neuer Prozesse stellt der kontinuierliche Lernprozess dar. Entsprechend ist es sinnvoll, wenn die Planung mittels Predictive Analytics im Rahmen einer Pilotphase vorab lediglich in einem spezifischen Bereich eingesetzt wird (Interview, 2. Mai 2019).
Voraussetzungen für den Einsatz von Prognosemodellen
Egle betont, dass für die erfolgreiche Implementierung von Predictive Analytics verschiedene organisatorische, kulturelle und technische Voraussetzungen gegeben sein müssen. Aus organisatorischer Sicht müssen die Unternehmen die funktionalen Silos aufbrechen. Dazu bauen sie ein interdisziplinäres Team über viele Funktionsbereiche auf. Als kulturelle Voraussetzung sollen die Organisationen in erster Linie eine Fehler- und Verständniskultur fördern. Dies ist elementar, weil das Projektteam die Modelle oftmals basierend auf einem Try-and-Error-Verfahren weiterentwickelt (Interview, 26. April 2019).
Hirs meint, dass Predictive Analytics auf der technischen Seite eine geeignete Applikation und Infrastruktur erfordert. Nur so kann das Projektteam die Prognosemodelle entwickeln. Am Markt partizipieren Grossunternehmen wie beispielsweise IBM, SAP oder Oracle. Diese bieten primär Standardapplikationen an. Es gibt jedoch auch kleinere Anbieter mit individuellen Lösungen. Die Wahl der Software beeinflusst die Dauer des Implementierungsprozesses und dessen Kosten stark. Dabei zeichnen sich kleinere Softwarelieferanten durch ihre kostengünstigen und schnell implementierbaren Lösungen aus. Wichtig ist, dass die Software Medienbrüche minimiert, eine Anbindungsmöglichkeit von anderen Anwendungen bietet und damit einen kontinuierlichen Datenfluss sicherstellt (Interview, 2. Mai 2019).
Vorteile & Risiken der Planung mit Predictive Analytics Modellen
Die untenstehende Abbildung 2 fasst die Stärken, Schwächen, Chancen und Gefahren der Prognosemodelle zusammen und zeigt, inwiefern Predictive Analytics im Rahmen der Unternehmenssteuerung anwendbar sind:
Insgesamt zeigt die SWOT-Analyse, dass der Einsatz von Predictive Analytics viele Stärken mit sich bringt.
Praxisbeispiel – Aufbau eines datenbasierten Ökosystems
«Schindler Ahead» ist die Zukunftsvision des Lift- und Fahrtreppenherstellers Schindler. Diese Vision verbindet die Trends Internet der Dinge und Predictive Analytics miteinander. Schindler erhebt innerhalb ihres Ökosystems Daten und tauscht diese zwischen Geräten, Kunden, Passagieren und Technikern in Echtzeit aus. Die gewonnenen Informationen über-prüft Schindler in ihrem Kontrollzentrum mittels Algorithmen auf Anomalien. Dadurch erkennt Schindler potenzielle Ausfälle frühzeitig und kann die Wartungsarbeiten entsprechend koordinieren. Dies hilft, die Ausfallzeiten der Aufzüge und Fahrtreppen möglichst tief zu halten. Das Video erklärt, wie die Datengewinnung und -analyse bei Schindler funktioniert und welche Vorteile das Ökosystem für die Servicetechniker sowie für die Kundschaft hat (Schindler, online).
Planungs- und Budgetierungsprozesse basierend auf Predictive Analytics sind die Zukunft
Lantz weist darauf hin, dass sich die Erstellung von Forecasts mithilfe von Predictive Analytics in der Unternehmenspraxis noch nicht etabliert hat. Dies ist primär darauf zurückzuführen, dass der Implementierungsprozess einen langen Zeitraum beansprucht. Dennoch investieren gegenwärtig viele Unternehmen in diesen Bereich (Interview, 30. April 2019).
Bezüglich der Weiterentwicklung und Durchdringung von Predictive Analytics in den nächsten Jahren teilen die Experten eine unterschiedliche Meinung: Miriam Hirs geht davon aus, dass sich die Planungs- und Budgetierungsprozesse in den nächsten fünf Jahren stark verändern werden. Sie stützt ihre Meinung auf die Tatsache, dass gegenwärtig viele Unternehmen Projekte in diesem Bereich initialisiert haben. Diese Entwicklung spiegelt sich gemäss Hirs auch in den stark angestiegenen Consultinganfragen wider (Interview, 2. Mai 2019). Prof. Dr. Ulrich Egle meint hingegen, dass in fünf Jahren die Planungs- und Budgetierungsprozesse durch den Einsatz von Predictive Analytics kaum ganzheitlich effektiver und effizienter sein werden. Er geht davon aus, dass sich das Predictive Analytics Verfahren erst über einen längeren Zeithorizont etabliert. Kurzfristig fehlt gemäss Egle in vielen Unternehmen das notwendige Know-how. Trotzdem geht er davon aus, dass in den nächsten Jahren viele Unternehmen erste Erfahrungen bei der Planung mit Predictive Analytics sammeln werden. Es wird aber erst möglich sein, bestimmte Unternehmensbereiche durch den Einsatz von Predictive Analytics zu optimieren. Durch den vorerst selektiven Einsatz können die Unternehmen Vertrauen aufbauen und die neuen Methoden dann schrittweise auf weitere Unternehmensbereiche ausweiten (Interview, 26. April 2019).
Abschliessend lässt sich festhalten, dass Unternehmen durch den Einsatz von Predictive Analytics ein grosses Potenzial erschliessen können. Die obigen Ausführungen zeigen klar, dass die gegenwärtigen Initiativen erst der Anfang sind. Die Unternehmen haben das grosse Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft. Predictive Analytics wird vor allem die Planungs- und Budgetierungsprozesse in den nächsten Jahren stark beeinflussen. So wird in mittel- bis langfristiger Zukunft die Methode Predictive Analytics nicht mehr aus der Planung und Budgetierung wegzudenken sein.
Literaturverzeichnis
Burow, L., Gerards, Y. & Demmer, M. (2017). Effektiv und effizient steuern mit Predictive Analytics. Controlling & Management Review 2017 (9), 48-56.
Caviezel, R. (2018). Planung mit Predictive Analytics. Rechnungswesen & Controlling 2018 (1), 15-17.
Gentsch, P. & Kulpa, A. (2017). Mit externen Big Data neue Möglichkeiten erschließen. Con-trolling & Management Review 2016 (1), 36-37.
Hochschule Luzern (a). Planung und Budgetierung, Abgerufen am 02.06.2019 von https://wiki.hslu.ch/controlling/Planung_und_Budgetierung
Hochschule Luzern (b). Traditionelle Budgetierung. Abgerufen am 02.06.2019 von https://wiki.hslu.ch/controlling/Traditionelle_Budgetierung
Hochschule Luzern (c). Forecast. Abgerufen am 02.06.2019 von https://wiki.hslu.ch/controlling/Forecast
Schindler. Schindler Ahead. Smart urban mobility. Abgerufen am 02.07.2019 von https://www.schindler-ahead.com/de/download/
Schwering, A. (2016). Ehrlichkeit in der Budgetierung. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Interviewverzeichnis
Name | Funktion | Institution | Ort | Datum |
Prof. Dr. Egle Ulrich | Dozent Controlling und Digital Business | IFZ | Zug | 26. April 2019 |
Hirs Miriam | Senior Manager Finance Transformation | Deloitte Switzerland | Skype | 2. Mai 2019 |
Lantz Barbara | Finance Director FP&A, (Leading Center of Excellence UK) | Johnson and Johnson | Skype | 30. April 2019 |
Autoren
Albisser Eliane, Gabler Dominik, Michael Wechsler
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