Für die Schweiz gelten Innovationen als wichtiger Wachstumsmotor. Kaum ein Unternehmen kann sich es leisten, nicht in die Zukunft zu investieren. Zu verlockend sind zudem die Zahlen zu Umsatzerträgen von Apple, Google & Co., die als innovativ und fortschrittlich gelten. Sie haben es geschafft, Produkte und Services zu entwickeln, die eine Vielzahl von Menschen anspricht und von diesen gekauft werden. Es entsteht der Eindruck, dass diese Menschen förmlich auf diese Lösungen gewartet haben und dass es seitens der Unternehmen nur wenige Anstrengungen braucht, um die neue Lösung im Markt zu etablieren.
Hinter jedem Käufer und jeder Käuferin steht allerdings eine Persönlichkeit. Diejenigen, die ein Produkt oder einen Services als erstes akzeptieren und nutzen werden als Innovatoren respektive Early Adopters bezeichnet. Sind sie zudem noch Opinion Leader (Baumgarten, 1975) oder Influencer, also Persönlichkeiten, die andere in ihrer Meinung beeinflussen, so unterstützen sie aktiv durch Weiterempfehlung die Verbreitung der innovativen Lösung. Aber wer sind diese Menschen und welches Verhalten legen sie an den Tag, damit sie aktiv werden bei der Markteinführung einer innovativen Lösung, die sie selbst noch nicht kennen?
Das interdisziplinäre Zukunftslabor Crealab der Hochschule Luzern untersuchte im Zeitraum von 2013 bis 2015 die Einführung der digitalen Plattform PEAX.
PEAX (www.peax.ch) bietet Privatpersonen einen digitalen Briefkasten und – in Kürze – eine integrierte Zahlungslösung, damit die gesamten administrativen Aufgaben an einem Ort einfach und sicher abgewickelt werden können. Die PEAX Plattform dient auf der einen Seite Privatpersonen, auf der anderen Seite schafft sie für Firmen und die öffentliche Verwaltung durchgängig digitale Output- und Interaktionsmöglichkeiten. Einige Digitalisierungsprojekte wurden bereits mit Firmen und Organisationen lanciert. Die ersten Projekte werden noch bis Ende 2016 umgesetzt. Der Aufbau der Plattform begann 2012 im Mutterhaus Base-Net Informatik AG in Sursee. Seit 2014 ist das Unternehmen PEAX eigenständig und in Luzern angesiedelt. Die 15 Mitarbeitenden haben das Portal inzwischen weiterentwickelt und im Juli 2016 in PEAX 2.0 überführt. Die Funktionalitäten und Usability von PEAX wurden für die mittlerweile 600 User optimiert. Neue Zahlungslösungen sind bereits in Planung. Täglich kommen ein – zehn User dazu. Die Plattform lebt eine Open Innovation Strategie und der enge Austausch mit Usern steht im Zentrum der Entwicklung. Einige User sind sehr aktiv an der Gestaltung des Portals beteiligt und melden ihre Bedürfnisse für Produktverbesserungen an das Unternehmen zurück.
Es gibt nur wenige quantitativen Studien, die die Einführung einer Innovation begleiteten. Die Einführung von PEAX bot sich für die Untersuchung der Erstnutzer/Innen und deren Entscheidungsprozess an. Während der Einführungsphase von PEAX wurden 198 PEAX-Nutzer – Innovatoren, denen es offensichtlich leichter fällt als die Mehrheit der Konsumenten, Neues zu nutzen – mit einem Online-Fragebogen befragt.
Aus bisherigen Studien und der Adoption Theorie ist unter anderem bekannt, dass diese Menschen andere Merkmale hinsichtlich ihrer Persönlichkeit und ihres Verhaltens aufweisen. So weiss man unter anderem, dass sie einer mittleren – höheren sozialen Schicht angehören und sozial-aktive Individualisten, z.B. Mitglieder in Vereinen, sind (Baumgarten, 1975; Boone, 1970). Sie haben die Tendenz, neue Informationen, Stimuli und Erfahrungen aktiv zu suchen (Hirschman, 1980), welche mit ihrem Bedürfnis nach Veränderung und Kognition (lat. Cognoscere: erkennen, erfahren, kennenlernen) zusammenhängt (Bartles und Renders, 2011; Wood und Swait, 2002). Letzteres steht im direkten Zusammenhang mit dem persönlichen Interesse an einer Produktkategorie (Goldsmith et al., 1995; Citrin et al., 2000; Hirunyawipada und Paswan, 2006). Innovatoren sind mehrheitlich verheiratet und verfügen über ein höheres Einkommen als die sogenannten Follower. Das höhere Einkommen dient zudem als Erklärung dafür, warum sie risikoreicher Handeln können. Dieses Risikoverhalten macht sich ausserdem in einem häufigeren Jobwechsel bemerkbar (Boone, 1970). Weiterhin gelten sie als neugierig und offen für Neues (Clark und Goldsmith, 2006). Forscher zeigten auf, dass eine Kongruenz zwischen dem Self-Image und dem Image der neuen Lösung bestehen muss, damit eine Akzeptanz erfolgt (Kleijnen, de Ruyter und Andreassen, 2011).
Unklar ist, wie sich der Entscheidungsprozess von Innovatoren im Vergleich zu Followern unterscheidet.
Die Studie ergab, dass obgleich 90% der Innovatoren in sozialen Netzwerken aktiv sind, lediglich 10% über diese Medien von der Innovation erfuhren. 35% der Befragten gaben an, dass ihr Interesse für die Plattform durch einen Artikel in den lokale/regionalen Medien und in der Tagespresse (inkl. Gratiszeitungen) geweckt wurde. Die Webseite der Hochschule Luzern und des Anbieters wurden von 32% respektive 19% der Befragten als weitere wichtige Quelle genannt. Interessanterweise fiel bei 52% der Befragten die Entscheidung zur Teilnahme am Arbeitsplatz; lediglich 29% entschieden sich zu Hause. Die Mehrheit von 59% meldete, dass sie zum Zeitpunkt der Entschlussfassung alleine waren. Diese Menschen brauchen Rückzugsmöglichkeiten für die Akzeptanz von Neuem. Rund 39% der Innovatoren entschlossen sich für die Teilnahme in Anwesenheit einer anderen Person.
Als Teilnahmemotive gelten in erster Linie Neugier (88%) und Interesse etwas Neues auszuprobieren (74%). Erst an dritter Stelle wurde die Angebotsvielfalt der neuen Lösung (62%) genannt.
Ein Widerspruch scheint bei der Informationssuche zu bestehen. So meldeten rund 20% der Befragten, dass sie umfangreiche Informationen über die Plattform einholten, bevor sie sich für die Nutzung entschieden. Die Mehrheit – rund 65% – hat sich spontan angemeldet, um sich ein Bild von der Lösung während der Nutzung zu machen. Der Grund hierfür könnte in der generellen Innovationsorientierung der Befragten liegen. Die Mehrheit der Innovatoren (71%) reflektiert Probleme und sucht aktiv nach Lösungen. Sie tauschen sich mit anderen über neue Lösungen aus (83%) und lesen Berichte darüber (81%). Diese persönliche Prädisposition lässt vermuten, dass Innovatoren bereits über ausreichend allgemeinem Wissen zu Innovationen verfügen. An Einzelheiten zur Nutzung sind vor dem Entscheid weniger interessiert.
Interessanterweise haben lediglich 40% der Nutzer/Innen angegeben, dass sie die Innovation weiterempfohlen haben. Die Mehrheit meldete zurück, dass sie sich zuerst ein Bild über die Plattform machen möchte. 13% gaben an, dass ihnen bisher keine Gelegenheit zur Weiterempfehlung hatten. Und wem empfehlen sie die neue Lösungen? Die Arbeitskollegen stehen an erster Stelle der Weiterempfehlung, noch vor Familienmitgliedern und Freunden.
Aus der Studie lassen sich einige Vorgehensweisen zur Markteinführung von neuen Lösungen ableiten.
- Informationen zu neuen Lösungen werden von Innovatoren bereits viel früher zur Kenntnis genommen. Ein Kommunikationsplan vor dem Einführungszeitpunkt erscheint ratsam und sollte vor allem die Neugier der Innovatoren wecken.
- Innovation ist ein wichtiger Gesprächsstoff am Arbeitsplatz. innovatoren erzählen gerne darüber und nehmen neue Informationen dazu auf. Kollaborationen zwischen innovativen Unternehmen und deren Mitarbeitenden könnten diesen Austausch unterstützen.
- Soziale Netzwerke sind wichtig. Für die Einführung braucht es jedoch mehr als nur einen Hinweis auf Facebook & Co.. Gezielte Veröffentlichungen in Offline und Online-Medien, die über Innovationen berichten, lösen direkte Aufmerksamkeit und Interesse bei Markteinführung aus.