{"id":7145,"date":"2022-01-10T17:34:00","date_gmt":"2022-01-10T16:34:00","guid":{"rendered":"https:\/\/sites.hslu.ch\/architektur\/?p=7145"},"modified":"2023-09-07T11:48:55","modified_gmt":"2023-09-07T09:48:55","slug":"cctp-position-gebaeude-als-lebensraum","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/sites.hslu.ch\/architektur\/cctp-position-gebaeude-als-lebensraum\/","title":{"rendered":"CCTP Position \u2013 Open Architecture"},"content":{"rendered":"\n

Geb\u00e4ude und St\u00e4dte als Lebensraum<\/h3>\n\n\n\n

Eine nachhaltige Stadtentwicklung orientiert sich an Qualit\u00e4ten f\u00fcr die Nutzenden, ist langfristig ausgerichtet und verf\u00fcgt \u00fcber das notwendige Potenzial, um gest\u00e4rkt auf Ver\u00e4nderungen reagieren zu k\u00f6nnen. Eine Fokussierung auf quantitative Indikatoren wie Effizienz und technische Optimierung wird dem Charakter einer Stadt nicht gerecht und schw\u00e4cht ihre F\u00e4higkeit zur Resilienz. Als offenes und lernf\u00e4higes System muss sich ein Siedlungsraum permanent weiterentwickeln k\u00f6nnen und ben\u00f6tigt Experimentalraum. Dabei sind dynamische, vielf\u00e4ltige und entwicklungsoffene Strategien gefragt. Dies steht im Widerspruch zu den starren Korsetts von Reglementierungen oder einer verordneten Technologie.<\/p>\n\n\n\n

Architektur steht im Spannungsfeld zwischen dem Konkreten\/Spezifischen und dem Anpassbaren\/Dynamischen, zwischen individuellen und kollektiven Interessen. Dies f\u00fchrt h\u00e4ufig dazu, dass Architektur auf ihre Objekthaftigkeit reduziert wird. Demgegen\u00fcber beschreibt Open Architecture <\/strong>eine Position, welche das Geb\u00e4ude systemisch als Lebensraum betrachtet. Mit John Habraken ist das CCTP der Meinung, dass unsere Bauten \u00abals materielle Form zum Leben erweckt werden\u00bb m\u00fcssen (John Habraken, 1961). Das Gebaute besteht nicht nur aus konstruktiven und technischen Komponenten, sondern umfasst Lebensr\u00e4ume mit komplexen r\u00e4umlichen, sozialen und \u00f6konomischen Wechselwirkungen. Die systemische Betrachtung beinhaltet ein \u00abUmweltverst\u00e4ndnis, das von interagierenden Systemen mit dynamischen Bez\u00fcgen zur allt\u00e4glichen Wirklichkeit ausgeht\u00bb (Jesko Fezer, 1980). Die Mensch-Umwelt-Interaktionen k\u00f6nnen auf den Ebenen der Planung, der Umsetzung, der Nutzung und der Erneuerung spezifisch entwickelt werden. Ziel von Open Architecture<\/strong> ist es, eine m\u00f6glichst hohe Qualit\u00e4t an Mensch-Umwelt-Interaktionen zu erreichen.
\u2013> Geb\u00e4ude systemisch als Lebensraum betrachtet<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Open Architecture<\/strong> zu konzipieren ist Teil der Mensch-Umwelt-Interaktion und erfordert Aushandlungsprozesse. Die verschiedenen individuellen Interessen und kollektiven Verantwortlichkeiten befinden sich h\u00e4ufig im Wettbewerb und in vermeintlicher Konkurrenz. Es muss gelingen, die Anspruchsgruppen und Entscheidungstr\u00e4ger dieser Interessen in einem fr\u00fchen Stadium der Planung an einen Tisch zu bringen, mit dem Anspruch, Zielkonflikte in Zielvereinbarungen zu \u00fcberf\u00fchren. Diese bilden die Basis f\u00fcr eine langfristige iterative Planung. 
\u2013> Prozess<\/strong>

Open Architecture<\/strong> kann daher nicht ohne Beteiligung der Betroffenen entstehen. In einem Disziplinen-\u00fcbergreifenden Prozess m\u00fcssen wir bei der Planung von R\u00e4umen, Geb\u00e4uden und Quartieren die relevanten Entwicklungen, die unsere Geb\u00e4ude k\u00fcnftig beeinflussen werden, identifizieren und Szenarien m\u00f6glicher Entwicklungen formulieren. Die Szenarien dienen als Grundlage f\u00fcr weitere Entscheidungen. Dieses Vorgehen nimmt das \u00abUnbekannte als Basis\u00bb (John Habraken 2000\/1961, S. 31) und sucht \u00abnach Handlungsans\u00e4tzen im Umgang mit der Ungewissheit\u00bb (Jesko Fezer 1980, S. 16). 
\u2013> Partizipation<\/strong>

Open Architecture<\/strong> ist eine Reaktion auf die Bed\u00fcrfnisse und Anforderungen heutiger und k\u00fcnftiger Nutzenden. Sie hat flexibel Funktionen zu erf\u00fcllen, die selbst einem st\u00e4ndigen Wandel unterliegen. Darum hat Open Architecture eine anpassbare Struktur. Diese ist jedoch spezifisch gestaltet und nicht beliebig. Sie besitzt einen hohen Aufforderungscharakter zur Aneignung, die f\u00fcr die angestrebte hohe Mensch-Umwelt-Interaktion Grundvoraussetzung ist. Open Architecture fordert zum Handeln auf und schafft \u00abM\u00f6glichkeitsr\u00e4ume\u00bb zum Bespielen des Alltags.
\u2013> Anpassungs- und Lernf\u00e4higkeit, Resilienz<\/strong>

Open Architecture<\/strong> stellt die Wirkung des Gebauten auf den Menschen ins Zentrum. Das Gebaute ist zwar in seiner physischen Beschaffenheit objektiv. In der Art und Weise, wie es erlebt wird und Verhalten pr\u00e4gt, dagegen subjektiv. Diese Unsch\u00e4rfe im Entwurfsprozess zu ber\u00fccksichtigen, d. h. etwas Konkretes zu bauen, das subjektiv wahrgenommen und angeeignet werden kann, stellt f\u00fcr Architekturschaffende eine Herausforderung dar und beinhaltet ein grosse Chance.
\u2013> Wirkung<\/strong>

Open Architecture<\/strong> ist nur bedingt planbar \u2013 im Sinne von John Habrakens \u00abYou can\u2019t control\u00bb. Alles Gebaute unterliegt einem permanenten Anpassungsdruck. Dieser wird von Ver\u00e4nderungen in unterschiedlichsten Bereichen, wie \u00d6konomie, Gesellschaft, \u00d6kologie etc. ausge\u00fcbt und kann durch architektonisches Handeln nicht unmittelbar beeinflusst werden. L\u00f6sungen, die heute propagiert werden, m\u00fcssen deshalb auch im Blickwinkel ihres Verfallsdatums betrachtet werden. Open Architecture muss in der Lage sein, auf Ver\u00e4nderungen mit unterschiedlichen Strategien zu reagieren. 
\u2013> Ver\u00e4nderbarkeit, Verfallsdatum<\/strong>

Open Architecture<\/strong> schafft qualitative Werte f\u00fcr k\u00fcnftige Nutzerinnen und Nutzer. Ein anpassbares Geb\u00e4ude ist ein spezifisches Produkt mit hoher Qualit\u00e4t, das Ver\u00e4nderungen zul\u00e4sst. Betrachten wir Werterhaltung und Rentabilit\u00e4t als Indikatoren f\u00fcr eine nachhaltige Wirkung \u00fcber einen l\u00e4ngeren Zeitraum sowie f\u00fcr verschiedene Nutzungen des Geb\u00e4udes, dann ist an Stelle der Effizienz die Effektivit\u00e4t der angemessene Massstab f\u00fcr die Beurteilung der Wertsch\u00f6pfung. Dies bedeutet, nach der richtigen Wirkung zu suchen und nicht eine vermeintlich richtige L\u00f6sung unreflektiert zu optimieren. 
\u2013> Nachhaltigkeit, Effizienz, Effektivit\u00e4t<\/strong>

Open Architecture<\/strong> erm\u00f6glicht es, Synergien zwischen Individuum und Gemeinschaft und zwischen Bauwerk und Quartier zu nutzen und schafft dadurch Mehrwert. Durch die Kooperation in einem \u00fcbergeordneten System k\u00f6nnen einzelne Geb\u00e4ude von spezifischen St\u00e4rken der anderen profitieren. Ziel ist nicht das autonome Geb\u00e4ude, das alles leisten kann, sondern die Aktivierung von Synergien zwischen verschiedenen Geb\u00e4uden und Nutzungen. Lebendige Quartiere bemessen sich an der Dichte und Qualit\u00e4t gemeinschaftlicher Interaktionen, die ein lebendiges Wohn- und Arbeitsumfeld unterst\u00fctzen. Was z\u00e4hlt, ist die Gesamtbilanz auf Quartiers- oder Stadtebene.
\u2013> Synergien, lebendige Quartiere, Suffizienz, Kooperation<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Fazit<\/h3>\n\n\n\n

Architektur kann ihre Wirkung erst entfalten, wenn sie zuvor aktiviert wurde. Bei diesem Prozess spielen zwei Informationsebenen eine zentrale Rolle: Die erste Informationsebene ist das Geb\u00e4ude als statisches Objekt (\u00abHardware\u00bb, z. B. Materialit\u00e4t, Raumkonzeption etc.) selbst. Sie beinhaltet das baulich-r\u00e4umliche Potenzial. Eine zweite \u00fcbergeordnete Informationsebene \u00fcbernimmt die Funktion einer \u00abSoftware\u00bb (immaterielle Aspekte, Aneignungsprozesse etc.). Erst ihre Programme aktivieren das baulich-r\u00e4umliche Potenzial des Objekts und zeichnen sich f\u00fcr die Mensch-Umwelt-Interaktionen verantwortlich. Dieser Prozess transformiert das Objekt in einen h\u00f6herwertigen Zustand als Lebensraum. <\/p>\n\n\n\n

Gelingt es, das Zusammenspiel dieser Informationsebenen bei  der Planung von Architektur bewusst zu ber\u00fccksichtigen, k\u00f6nnen fragile (objektbezogene) Zust\u00e4nde in antifragile Zust\u00e4nde (Mensch-Umwelt-Interaktionen) transformiert werden. Denn die angestrebten hohen Mensch-Umwelt-Interaktionen setzen eine spezifische Betrachtung von Nutzung, Geb\u00e4ude und Kontext voraus und ber\u00fccksichtigen dadurch bereits als Entwurfsprinzip das \u00abUnbekannte als Basis\u00bb (Habraken 2000\/1961, S. 31). Aus diesem Grund muss Architektur als Open Architecture ver\u00e4nderungsf\u00e4hig sein. Sobald das Geb\u00e4ude isoliert als Objekt (\u00abmaterial\u00bb) betrachtet wird, ohne dabei ihre Mensch-Umwelt-Interaktion (\u00abimmaterial\u00bb) zu ber\u00fccksichtigen, f\u00fchrt dies zu einer Reduktion von komplexen Zusammenh\u00e4ngen, mangelhaften Einsch\u00e4tzungen der architektonischen Wirkung und erh\u00f6ht die Gefahr von Fragilit\u00e4t. Erst durch die Interaktionen ist die \u00abAktivierung der nat\u00fcrlichen Relation\u00bb (Habraken 2000\/1961, S. 29) m\u00f6glich. Diese ist Basis f\u00fcr einen Entwicklung nachhaltiger Architektur. <\/p>\n\n\n\n

Wir ben\u00f6tigen R\u00e4ume, Geb\u00e4ude und Quartiere, die als Open Architecture<\/strong> auf sich ver\u00e4ndernde Anforderungen reagieren  k\u00f6nnen und die trotz Wandel Garant f\u00fcr einen qualit\u00e4tsvollen, hochstehenden Lebensraum sind. Unsere R\u00e4ume, Geb\u00e4ude und Quartiere m\u00fcssen zum Handeln und damit zur Verantwortung auffordern. Bei diesem Prozess sind alle Architekturschaffenden gefordert: Es geht um den Einbezug verschiedener Akteure und Disziplinen und den niederschwelligen Zugang zur Architektur  f\u00fcr Laien als Experten des Alltags.<\/p>\n\n\n\n

Literatur<\/h3>\n\n\n\n